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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Geplärre und Rotz bezahlt er seine ersten Schritte in einem inexistenden Universum. Der lebendige, greinende Kosmos wabert durch die illusionäre Welt und macht sie zur wirklichen.«
    Schweigend saugte der Schließer an seiner Pfeife. Martin holte Luft.
    »Auf diese Weise schafft sich der Mensch sein Universum. Aus sich heraus lässt er etwas entstehen, denn nichts in der Welt ist realer als er. Der Mensch wächst heran und gibt mehr und mehr. Sein Universum entsteht aus gesagten Worten und gedrückten Händen, aus zerschrammten Knien und funkelnden Augen, aus Lachen und Weinen, aus dem, was er aufbaut, und aus dem, was er zerstört. Der Mensch gibt seinen Samen und zeugt Kinder, der Mensch schafft Musik und zähmt Tiere. Allenthalben wird die Dekoration dichter und illustrer, gewinnt freilich noch keine Realität. Das wird erst geschehen, wenn der Mensch sein Universum vollendet – indem er die letzte Wärme seines Körpers und das letzte Blut seines Herzens hergibt. Denn die Welt muss geschaffen werden, doch der Mensch verfügt über nichts, womit er das vollbringen könnte. Über nichts, außer sich selbst.«
    Der Schließer legte die Pfeife auf den Tisch.
    Martin wartete.
    »Du hast meine Trauer und meine Einsamkeit vertrieben, Wanderer. Tritt durch das Große Tor und setze deinen Weg fort.«
    Martin nickte dem Schließer zu und erhob sich.
    »Man könnte glauben, ein jeder sei ein Universum«, ließ der Schließer fallen, nachdem Martin sich abgewandt hatte. »Man könnte glauben, ein jeder sei lediglich ein Buchstabe in der kurzen Geschichte des Universums. Das würde nicht viel ändern, Martin. Ob wir nach unserem Tod zu einem Kosmos werden oder lediglich zu einem Buchstaben auf einem Obelisken – welchen Unterschied macht das für einen Toten schon?«
    So schnell, wie er es nur konnte, wirbelte Martin herum.
    Der Schließer saß bereits nicht mehr im Sessel, nur die vergessene Pfeife qualmte sanft vor sich hin.
    Doch was hätte das geändert? Welche Rolle spielte es, ob ein Schließer im Sessel saß oder sich Tausende von Lichtjahren weit wegkatapultiert hatte, wenn sie ohnehin nie eine Frage beantworteten?
    Dennoch sagte Martin: »Vielen Dank, Schließer.«

Zweiter Teil
    Orange
     

Prolog
     
    Jäger, welche auf die Genüsse des Lebens erpicht sind – Sybariten, um es gepflegt auszudrücken –, begegnen der Frage schmackhaften und gesunden Essens stets mit großem Ernst. Vergnügen finden sie an einem Restaurantbesuch, sofern es sich um eine klassische, leicht altmodische Lokalität handelt, die mit gestärkten weißen Tischtüchern, Porzellan und Kristall aufwartet, das Silberbesteck häufig wechselt und in dem dezente Kellner bedienen, auf gar keinen Fall Kellnerinnen, denn für die kapriziöse, flatterhafte weibliche Hand schickt es sich nicht, in das Sakrament der Zubereitung und des Servierens eines Mahls einzugreifen! Einige Freude bietet auch eine schlichtere Einrichtung mit fröhlich karierten Tischdecken und hinter der Küchentür zischenden Töpfen, in denen Junge Leute einen nebst all den erfolgreichen Bankern, den ewig hastenden Juristen und den lauten, mit Videokameras verwachsenen Touristen mit ungewöhnlichen und nationalen Speisen verköstigen. Fastfood-Unternehmen sind dagegen entschieden abzulehnen, gleich unter welchem fremdländischen Namen sie auftreten und mit welch wohlschmeckendem Kunststoff sie den Einwegteller bestücken mögen. Nein, nein und noch mal nein! Brötchen samt Hackfleischeinlage sollte man keine Chance lassen, wenn man seine Gesundheit und die vergänglichen irdischen Freuden ernst nimmt.
    Freilich bleibt das Maß aller kulinarischen Wonnen, das A und O eines Sybariten, die häusliche Küche, das am eigenen Herd zubereitete Mahl. Allein hier gibt sich die Wahrheit zu erkennen, einzig hier zeigt sich, ob man eine erbärmliche Kreatur ist, die einen anspruchslosen Magen beherbergt, oder ob man zu Recht die Befehlsgewalt über diesen Magen innehat, ihn rechtens beaufsichtigt und verhätschelt, sich weder von Trägheit noch vom Appetit oder gar brodelnden Verdauungssäften den Löffel beim Kochen aus der Hand nehmen lässt!
    Heute bewirtete Martin seinen Onkel bei sich zuhause. Dergleichen kam nicht allzu häufig vor. Und da der Onkel ein strenges, wiewohl gerechtes Urteil abzugeben pflegte, bemächtigte sich Martins eine leichte Nervosität. Erst heute Morgen zur Erde zurückgekehrt, lief ihm nun die Zeit davon, weshalb er sich aufs Improvisieren verlegen musste.

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