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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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zwischen den Brüdern wieder hergestellt und das Gespräch erneut in Gang gebracht werden konnte.

Eins
     
    Der Grund, warum Martin für einen Tag wieder auf die Erde zurückgekehrt war, lag nicht nur in dem seit Langem geplanten Besuch des Onkels, sondern auch in der Notwendigkeit, sich für die weitere Reise auszurüsten. Freilich, prinzipiell hätte Martin seinen Weg direkt von Bibliothek aus fortsetzen können. Da ihm jedoch eine ungewöhnliche Aufgabe bevorstand, zog er es vor, sich die Rückkehr eine Geschichte kosten zu lassen.
    Martin entschied sich wieder für die Remington. Auf die Jagd wollte er nicht gehen, und zur Selbstverteidigung genügte der Karabiner vollauf. Aus dem kleinen Arsenal, das Martin im Arbeitszimmer aufbewahrte, fügte er nur noch einen Revolver hinzu, eine zuverlässige, kompakte Smith & Wesson, das Modell 60. Mit dem nur fünf Zentimeter langen Lauf, den fünf Patronen in der Trommel und dem kleinen Kaliber eignete sich die Waffe nur für kurze Schusswechsel auf geringe Distanz. Dergleichen passierte, wiewohl nicht häufig, und in solchen Situationen leistet ein Revolver weit bessere Dienste als ein Gewehr.
    Auch seine Tauschwaren ergänzte Martin. Salz gab es auf fast allen Planeten, wohingegen Zucker und Süßwaren trefflich als Devisen taugten. Dazu noch Tabak, Pfeffer, Medikamente, einige Stapel Spielkarten, ein frischer Digest, eine Zusammenstellung, die sich in keiner Weise von den sonstigen unterschied. Bereits gegen Mittag war Martin aufbruchsbereit, obgleich er dem nächtlichen Beisammensein bis um drei Uhr in der Früh einen schweren Kopf verdankte.
    Als Martin eben die Wohnung verlassen wollte, klingelte das Telefon. Er langte nach dem Hörer, bemerkte im letzten Moment jedoch Poluschkins Nummer auf dem Display, weshalb er das Gespräch lieber nicht entgegennahm. Hatte er von seiner Rückkehr erfahren oder rief er auf gut Glück an? In jedem Fall gedachte Martin momentan nicht daran, Rede und Antwort zu stehen.
    Er schloss die Tür ab und ging die Treppe hinunter.
     
    Mitunter glaubte Martin, es hänge auch vom Erzähler selbst ab, ob die Schließer eine Geschichte akzeptierten. Von seiner Stimmung … seiner Überzeugungskraft … seiner Hingabe an die fiktive Geschichte … von gänzlich abwegigen Faktoren. Zum Beispiel erdichtete sich ein leerer Magen weitaus leichter den Zugang zum Tor als einer, dem gerade ein üppiges Mahl und ein Krug Bier zuteil geworden waren.
    Momentan verspürte Martin in Maßen Hunger, plagten ihn Kopfschmerzen.
    Beides machte sich bemerkbar.
    »›Tatsächlich?‹, fragte die Frau. ›Und ich habe immer angenommen, Sie hätten alles schon am ersten Abend verstanden.‹« Gerade beendete Martin seine Erzählung, um dann schweigend des Verdikts zu harren.
    »Einsam ist es hier und traurig«, verkündete der Schließer. »Ich habe schon viele solche Geschichten gehört, Wanderer.«
    Das war nun schon die zweite Geschichte, die ein Schließer zurückwies. Besonders beschämte Martin bei der Sache, dass er selbst die Geschichten für gelungen erachtete, verfügten sie doch über eine Handlung, Charaktere und eine Moral. Kurzum, durch und durch taugliche Geschichten!
    Der Schließer wartete ab, ein in der Tat einsames und trauriges Geschöpf, einer der vielen einsamen und traurigen Schließer der Moskauer Station. Seufzend durchwühlte Martin sein Gedächtnis. Er erinnerte sich an gelesene, gehörte, ihm selbst oder Bekannten widerfahrene Geschichten und verwarf sie.
    Der Schließer wartete.
    »Meine Geschichte handelt von Neugier«, bemerkte Martin nach einer Weile. »Eine seltsame Eigenschaft, nicht wahr?«
    Selbstverständlich antwortete der Schließer darauf nicht. Selbstverständlich hatte Martin nur eine rhetorische Frage gestellt.
    »Neugier treibt die Menschen zu merkwürdigen und gefährlichen Unternehmungen an. Pandora öffnete die ihr anvertraute Büchse, die Frau von Blaubart ist in das verbotene Zimmer gegangen, und Wissenschaftler spalteten das Atom. Wohin man auch blickt – immer entsteht das Leid aus dieser Neugier. In der Vergangenheit drohte nur den Neugierigen selbst Gefahr, seit den letzten hundert Jahren jedoch der ganzen Menschheit. Ein neugieriger Wissenschaftler kann gefährlicher werden als eine ganze Armee. Meiner Ansicht nach besinnt sich die Natur allmählich und legt den Rückwärtsgang ein … Die Neugier der Menschen lässt nach. Sie interessieren sich nicht mehr für die Wissenschaft. Die Menschen haben das eher

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