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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Alltägliche, das Gewöhnliche lieben gelernt. Wie Telenovelas, in denen man alles im Voraus weiß. Bücher, bei denen man mit den ersten Seiten bereits das Ende kennt. Essen, das weder durch seinen Geschmack noch seine Farbe oder seinen Duft besticht. Nachrichten, in denen keine Neuigkeiten geboten werden. Als habe jemand die Notbremse gezogen: Schluss jetzt mit der Neugier, Schluss mit der Suche, Schluss mit dem Denken! Hört auf – oder sterbt!«
    Nachdenklich sah der Schließer Martin an.
    »Wir leben mit vorhersagbaren Frauen, unsere Freunde erzählen uns Witze, die einen elend langen Bart haben, unser Gott wird von Dogmen gefesselt. Und das gefällt uns. Doch kürzlich, Schließer, habe ich eine junge Frau gesehen, die an Neugier gestorben ist … und da habe ich mich gefragt …« Martin blickte dem Schließer in die Augen. »… ob wir eigentlich alle verlernt haben, uns zu wundern? Vielleicht war ich es, der die Notbremse gezogen hat? Um mich selbst zu retten? Vielleicht war ich es, der stehen geblieben ist? Und jetzt rede ich mir ein, die ganze Welt sei stehen geblieben? Ihr habt es uns fast abgewöhnt, neugierig zu sein, ihr Schließer. Welchen Sinn soll es haben, etwas zu lernen, etwas zu entdecken, wenn ihr uns morgen etwas Fix und Fertiges schenkt? Welchen Sinn soll es haben, nach den Sternen zu greifen, wenn es dort nichts Neues gibt? Ich habe darüber nachgedacht, und die Antwort gefällt mir nicht. Daher heißt meine Devise nun: Hoch lebe die Neugier! Viel zu wissen ist großartig! Viel Kummer zu erfahren ein angemessener Preis!«
    Der Schließer hüllte sich in Schweigen. Instinktiv spürte Martin, dass seine Geschichte nicht akzeptiert worden war. Deshalb beugte er sich über den Tisch, dicht zum Schließer vor.
    »Und weißt du, was dabei das Wichtigste ist, Schließer?«, fuhr er fort. »Es gibt überhaupt keine Neugier! Intelligente Wesen kennen diese Eigenschaft und Qualität nicht. Wir nennen die Intuition Neugier, den Versuch, aus unzureichenden Informationen Schlussfolgerungen zu ziehen. Ständig wollen wir alles kategorisieren oder logisch erklären. Wenn wir keine Erklärungen finden, sprechen wir von Neugier, gleichsam als stellten wir uns damit einen Freibrief für unser seltsames, zielloses und gefährliches Verhalten aus. Die Neugier ist lediglich eine bequeme Erklärung. Mehr nicht!«
    »Einsam ist es hier und traurig …«, setzte der Schließer an.
    »Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende«, entkräftete Martin die Ablehnung. »Ich habe sie noch nicht einmal angefangen. Das war lediglich die Einleitung.«
    Zum ersten Mal im Leben vermeinte Martin in den Augen eines Schließers Ärger auszumachen.
    »Dann erzähle.«
    »Es war einmal im Universum eine Rasse, die von allen übrigen intelligenten Wesen Schließer genannt wurde«, begann Martin. Unversehens hatte sich seiner Wut bemächtigt, eine Wut, die gar nicht dem Schließer, ja, nicht einmal sich selbst galt, der er mit einem Mal nicht mehr in der Lage sein sollte, den Wegzoll zu bezahlen. Nein, reine, gegen niemand Konkretes gerichtete Wut hielt ihn gefangen. »Diese Rasse pflegte das Hobby, sich in leistungsstarken schwarzen Raumschiffen durch die Galaxis zu bewegen und auf jedem Planeten, auf dem sie landeten, eine Station für Hyperraumverbindungen zu erbauen. Als Gegenleistung für die Benutzung dieser Stationen verlangten sie nur eine Geschichte, die ihre Neugier fesselte. Denn eine andere Möglichkeit, sich zu amüsieren, verfing bei den Schließern nicht. Und es war einmal ein Junge, der Martin Dugin hieß und der auf dem Planeten Erde lebte. Wie jeder aufgeweckte kleine Junge hatte er einen Traum, nämlich die Geheimnisse der Galaxis zu entdecken. Nicht mehr und nicht weniger, wie es bei den Menschen eben üblich ist. Irgendwann begegneten sich die weisen Schließer und der neugierige Junge. Die Schließer langweilten sich wie gewöhnlich. Der Junge hielt sich selbstredend für klüger als alle anderen im Universum. Und er fragte sich, ob wohl Neugier die Schließer umtrieb. Aber haben wir uns nicht darauf geeinigt, dass es keine Neugier gibt? Sollten die Schließer wirklich darauf hoffen, etwas Neues und Bedeutsames zu hören? Dann ginge es im Grunde nicht um die Geschichten. Nicht um die Geschichten ginge es, sondern um die Menschen, die sie erzählen! Offensichtlich gibt es in der Galaxis bestimmte Geheimnisse, wichtige und schreckliche Geheimnisse, die die Schließer nicht knacken können. Diejenigen aber, die die

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