Spektrum
Schließer in eine andere Welt einlassen, sollen diese Geheimnisse lüften. Und diejenigen, die die Schließer nicht zurücklassen, scheinen der Aufdeckung des Geheimnisses zu nahe gekommen. Ihr verbleibendes Leben werden sie fortan dort zubringen, wo sie den Schließern von Nutzen sind!«
Der Schließer fing zu husten an. Da er ziemlich lange brauchte, sich auszuhusten, begriff Martin: Gelächter schüttelte das zottelige geschuppte Wesen, überwältigte es, machte jeden Versuch, es zu unterdrücken, zunichte.
»Du … du hast … meine Trauer und meine Einsamkeit vertrieben, Wanderer. Tritt durch das Große Tor und setze deinen Weg fort.«
»Hat es also funktioniert«, brummelte Martin, während er sich aus dem Sessel erhob. »Bemerkenswert …«
Der Schließer hörte zu lachen auf. In seinen Augen lag nicht einmal mehr der Schatten von Ärger. »Dutzende von Rassen, Hunderte von Planeten und Tausende von Hypothesen. Man behauptet, wir würden Seelen rauben. Man behauptet, wir würden die Wanderer als Nahrung verwenden. Man behauptet, wir würden euch bloß verspotten. Aber deine Version kannte ich noch nicht, und dafür danke ich dir. Du hast meine Trauer vertrieben.«
»Ihr sagt uns nie, ob unsere Geschichten für euch einen Sinn ergeben oder nicht. Und ihr werdet uns das auch nie sagen«, knurrte Martin.
»Nagt an dir etwa Neugier?«, wollte der Schließer wissen. »Dabei gibt es überhaupt keine Neugier, das hast du doch mit solcher Sicherheit dargelegt.«
»Es gibt keine nichtige Neugier«, widersprach Martin. »Es gibt keine ziellose Neugier. Wenn uns eure Motive interessieren, heißt das lediglich, dass wir die Lüge wittern. Das Unausgesprochene. Die Gefahr. Den entgangenen Gewinn.«
Als der Schließer in Schweigen verfiel, wähnte Martin sich in dem Gefühl eines zarten Triumphs. Doch als Martin die Tür hinter sich schließen wollte, packte den Schließer ein neuerlicher Lachanfall, der Martin jeden Siegesgenuss nahm.
»Macht euch nur über uns lustig«, grummelte Martin, während er durch die Gänge lief. »Wettet am Totalisator auf uns, schaut euch an, wer sich in den fremden Welten am längsten hält. Übertragt das doch in eurem Fernsehen. Ich pfeife auf euch!«
Als er das nächstgelegene Tor erreichte – in der Moskauer Station gab es insgesamt sechs Große Tore –, hatte Martin sich bereits wieder beruhigt. Sicherlich stellten sich sein Verhalten und seine Hypothesen für einen Schließer, ein allmächtiges und nahezu unsterbliches Wesen, äußerst komisch dar.
Mehr als alles sonst fiel freilich eins ins Gewicht: Martin war sich keineswegs sicher, dass es reine Neugier nicht gab, dass dahinter immer nur Intuition, Gier oder Angst standen. Was sollte ein Kind denn bitte schön von einem zu Bruch gegangenen oder zerlegten Spielzeug haben? Es war interessant und damit basta. Möglicherweise galt das auch für die Schließer: Sie spielten mit lebendem Spielzeug und waren vielleicht ein wenig enttäuscht, wenn es zerbrach.
In Gedanken vermerkte Martin die ausbaufähige Version. Wenn die Schließer über die Motive ihres Verhaltens rätselten, dann könnte er ihnen erzählen, sie seien Kinder einer echten Super-Zivilisation, die in den Kosmos geschickt wurden, um sich auszutoben. Wie alle Kinder waren die Schließer neugierig, herzlos und hörten lieber zu, als dass sie Fragen beantworteten …
Daraus ließe sich eine ordentliche Geschichte basteln.
Martin pfiff sogar etwas vor sich hin, und die kleine Schlange im Wartesaal vor dem Tor trübte seine Laune nicht im Geringsten. Er nickte einer ernsthaften Frau mittleren Alters zu, die mit einer riesigen karierten Tasche auf einem kleinen Sofa saß. Mein Gott, ob da auf ganz neuem Niveau der Schwarzhandel wieder aufblühte? Oder ob die Frau Verwandte besuchen wollte und in der Tasche Mitbringsel waren? Martin tauschte sogar einen höflichen Händedruck mit einem Mann, der in einer Ecke des Saals neben einem Aschenbecher von beachtlichem Fassungsvermögen rauchte. Der Mann war sehr nervös, verrauchte Zigarette um Zigarette. Auf den ersten Blick erfasste Martin, dass er einen Neuling vor sich hatte, der kein Gespräch suchte. Um ihm Gesellschaft zu leisten, zündete Martin sich ebenfalls eine Zigarette an, die er bis zur Hälfte rauchte.
In dem kleinen Gang, der zum Tor führte, klimperte etwas. Ein großes und niedergeschlagenes Wesen stapfte am Wartesaal vorbei zum Ausgang. Nervös blickte die Frau Martin an und steuerte aufs Große Tor zu.
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