Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
gut zwanzigtausend Seelen zählt und man selbst einer von den wenigen ist, die regelmäßig die Grenze zwischen Alltag und Abenteuer überschreiten!
    »Bist du sicher, dass du diese Frau zu den Ruinen geführt hast, Jim?«, fragte Martin, als sie über eine hölzerne Brücke einen Fluss überquerten, um dann das rechte, etwas sanftere Flussufer zu erklimmen. Selbst hier gab es noch Häuser, denn die Stadt wollte ohne Frage in diese Richtung wachsen,– gleichwohl spürten die beiden, wie sie die Grenzen der Zivilisation allmählich hinter sich ließen.
    »Sie sieht ihr ähnlich«, antwortete der Indianer vorsichtig.
    »Wie hat sie sich vorgestellt?«
    »Als Irina Poluschkina«, brachte der Indianer ausgesprochen klar und korrekt hervor. Die Einwohner mussten eine exzellente Sprachbegabung haben.
    Seufzend beendete Martin das Thema. Irgendjemand musste sich geirrt haben. Entweder er, als er die auf Bibliothek gestorbene Frau für Irina hielt – andererseits lag bei Martin zuhause ihr Jeton. Und woher sollte sonst diese Ähnlichkeit rühren? Oder der namenlose Cowboy und der Indianer mussten sich getäuscht haben. Oder lügen.
    Selbstredend ließe sich auch eine ausgefallenere Version entwickeln. Zum Beispiel könnte Martin Irina eine Zwillingsschwester zugesellen, von der der Herr Poluschkin nichts wusste oder die zu erwähnen er nicht für nötig erachtet hatte. Die Mädchen hatten sich zusammen auf die Reise begeben, dabei jedoch zwei unterschiedliche Planeten gewählt – und sich obendrein mit dem gleichen Namen vorgestellt …
    Schweren Herzens verwarf Martin diese großartige Variante, die an mexikanische Telenovelas und romantische Schmöker für Damen mittleren Alters erinnerte. Nein, zu spekulieren brachte nichts. Jim hatte beteuert, Irina zu den Wissenschaftlern geführt zu haben, die die Ruinen untersuchten. Bis dorthin waren es vier, fünf Stunden Weg, dreißig Kilometer, die nicht wie auf Bibliothek nach ständigem Gehüpfe von Stein zu Stein verlangten, die bloß einen gewöhnlichen Spaziergang durch die Steppe bedeuteten …
    »Magst du Menschen, Jim?«, fragte er.
    »Keine Ahnung, ich habe sie noch nicht gekostet«, antwortete der Indianer lakonisch.
    Erstaunt blickte Martin ihn an. Der Indianer lächelte.
    »Teufel auch, ich hätte nicht erwartet, ausgerechnet hier einen Witz mit einem derart langen Bart zu hören!«, rief Martin aus.
    »Ich mag Witze«, erklärte Jim würdevoll. »Die Menschen verstehen es, lustig zu sein. Ja, ich mag Menschen. Ich bin ein schlechter Läufer. Es fällt mir schwer, mit dem Volk mitzuziehen. Es ist leichter für mich, an einem Ort zu leben.«
    Martin, der einige Mühe hatte, mit dem vorgelegten Tempo Schritt zu halten, schüttelte nur den Kopf.
    »Inmitten der Menschen zu leben bekommt mir besser«, schloss Jim. »Menschen haben gutes Essen. Und sehr leckeres Bier.« Sekundenkurz zögerte er, dann fügte er in verschwörerischem Flüsterton hinzu: »Und manche Frauen finden es ausgesprochen interessant, mit einem Indianer Liebe zu machen.«
    Die neuerliche Überraschung ließ Martin grunzen. Obgleich – weshalb wunderte er sich eigentlich? Physiologisch standen die Ureinwohner Präries den Menschen sehr nahe. Eine gemeinsame Nachkommenschaft konnten sie nicht zeugen, immerhin hatten sie unterschiedliche Genotypen, aber Sex … Das Äußere des Indianers ließ sich keinesfalls als abstoßend bezeichnen. Martin beispielsweise hätte gegen Sex mit einer Chinesin oder Japanerin ebenfalls nichts einzuwenden gehabt, ein derartiger Gedanke erregte ihn eher, als dass er ihn anwiderte. Weshalb sollten die Bewohnerinnen von Prärie, die den größten Teil ihres Lebens in einer liberalen Gesellschaft verbracht hatten, sich also nicht mit den Eingeborenen einlassen?
    »Schön, dass Sie so gut mit den Menschen zurechtkommen«, bemerkte er. »Und wie steht’s mit den Außerirdischen?«
    »Einige sind schrecklich«, erklärte Jim. »Einige …« Er verzog das Gesicht. »… riechen sehr schlecht. Schlimmer als das Eau de Cologne des Sheriffs. Aber alles in allem hab ich nichts gegen sie.«
    »Und gegen die Schließer?«
    Darauf antwortete Jim nicht. Er beschleunigte lediglich den Schritt, bis der Sarong, die schlanken, muskulösen Beine umspielend, knisterte.
    »Magst du die Schließer nicht, Jim?«, hakte Martin nach.
    »Sie …« Jim zögerte, als wäge er seine Worte ab. »Sie sind anders. Nicht so wie alle.«
    »Hast du Angst vor ihnen?«, erkundigte sich Martin. »Sie würden

Weitere Kostenlose Bücher