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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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sie zu finden«, erklärte Martin. »Könnten Sie mir nicht sagen, worüber Sie sich unterhalten haben?«
    »Wäre das denn fair?«, fragte der Cowboy. »Wenn das Mädel von zuhause weg ist …«
    »Sie ist tot«, erklärte Martin. »Ich versuche lediglich, etwas über ihre letzten Tage in Erfahrung zu bringen. Väterchen …«
    »Warum ist dieser Barmann nur so überzeugt davon, dass ich Russe bin?«, fragte der Cowboy kopfschüttelnd.
    »Vielleicht weil er selbst Russe ist?«, schlug Martin vor.
    »Ha, bringen Sie meine Mokassins nicht zum Lachen!«, winkte der Cowboy ab. »Mit fünf Jahren bin ich aus der Ukraine emigriert – und da soll ich mich für einen Russen halten? Na ja, schon gut, nennen Sie mich, wie Sie wollen. Väterchen, Señor, Mister …«
    Er goss etwas Whiskey in das Glas, schob es Martin hin und trank selbst direkt aus der Flasche. »Auf das Mädel. Friede ihrer Asche.«
    Es gab kein Entkommen; Martin trank erneut. Ihm schoss der traurige Gedanke durch den Kopf, dass er, wenn es in diesem Tempo weiterging, nichts herausbekommen, sondern vielmehr unterm Tisch liegen würde.
    »Wie ist sie gestorben?«, wollte der Cowboy wissen, nachdem er sich den Ärmel unter die Nase gehalten und tief eingeatmet hatte.
    »Ein Unfall«, gab Martin nach kurzem Zögern Auskunft. »Ein Tier hat sie angegriffen.«
    »Kaum zu glauben …« Der Cowboy schüttelte den Kopf. »Erst am Sonntag haben wir uns kennengelernt. Das Mädchen ist traurig, das seh ich gleich, sitzt da allein bei ihrem Bier, da sprech ich sie an …«
    Martin verzichtete lieber darauf, den Cowboy zu korrigieren.
    »Ein nettes Mädel«, fuhr sein Gegenüber versonnen fort. »Ich hätte ihr gern geholfen, aber was bin ich schon für eine Hilfe … Ich ziehe nur Unglück an … Sie wollte die Ruinen untersuchen, die bei der Silbermine. Ich habe alles versucht, sie davon abzubringen, denn ich habe die Ruinen schon gesehen. Da gibt’s nichts Interessantes. Aber sie hatte da so eine verstiegene Idee. So was in der Art, dass diese Ruinen eigentlich was ganz anderes sind.«
    »Ach ja?«, wunderte sich Martin.
    »Ich bin daraus nicht schlau geworden«, gab der Cowboy achselzuckend zu. »Das Mädel hat die ganze Zeit gelacht und erklärt, sie habe es geschafft, die Schließer auszutricksen. Vermutlich ist sie mit einer reichlich krausen Geschichte durchs Tor gekommen … Dann hat sie behauptet, wir alle seien blind. Wir alle seien quasi Götter. Und dass die Welt sich bald verändern würde, und zwar gewaltig.«
    »Wie viel haben Sie denn getrunken …«, brummte Martin. Der Bericht des Cowboys erstaunte ihn in keiner Weise, denn mit siebzehn Jahren steht es allen Jungen und Mädchen zu, davon zu träumen, die Welt von Grund auf zu verändern. Freilich hatte er Ira für ein weitaus vernünftigeres Wesen gehalten.
    »Sie einen Krug Bier«, räumte der Cowboy vage ein. »Mit mir kann man sich wirklich gut unterhalten. Frauen und Kinder vertrauen mir.«
    »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«, fragte Martin.
    »Haben sie etwa auch vor, die Welt zu verändern?« Der Cowboy grinste. »Noch allerlei wirres Zeug. Anscheinend hätte sie noch mehr gesagt, aber sie hat sich zusammengerissen. Hat nur warme Luft geblasen …« Er sah zum Fenster hinaus. »Oh! Sieh da!«
    An der Bar fuhr langsam ein Minibus vorbei. Als Martin die Kindergesichter an den Fensterscheiben sah, fragte er sich, ob es in dieser kleinen Stadt wirklich nötig war, einen Schulbus einzusetzen.
    »Da kommen die Farmerkinder von der Schule …«, zerstreute der Cowboy seine Zweifel. »Ira hat sie auch gesehen, gelacht und gesagt: ›Das ist doch ganz bestimmt der Autobus der Munizipalität?‹ Ich habe ihr erklärt, dass es in gewisser Weise schon so sei, dass es hier wenig Technik gebe und es mit dem Öl auch nicht gut aussehe … es ist von schlechter Qualität … Daraufhin bringt das Mädel ein ›Eben!‹ heraus, als habe sie Gott weiß was für eine Entdeckung gemacht.«
    Martin folgte dem Bus mit dem Blick. »Vielen Dank«, sagte er schulterzuckend. »Sie haben Irina also nur einmal gesehen? Am Samstag?«
    »Am Sonntag«, versicherte der Cowboy überzeugt. »Ich bin aus der Kirche gekommen.« Das klang, als verlasse er die Trinkstube ausschließlich zur sonntäglichen Predigt. »Da ist sie vorbeigekommen. Vorgestern habe ich sie auch gesehen, aber nur flüchtig. Wir haben uns zugewinkt, aber nicht mal miteinander gesprochen.«
    Ungläubig sah Martin den Cowboy an. »Sie müssen sich irren.

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