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SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Mascolo
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Bundeskanzlerin ist ihr Lieblingsberuf. Warum?
    Eine Antwort könnte sein, dass sie ihre Positionen oder die Positionen der CDU durchsetzen will. Aber so redet sie nicht. Wenn man ihre Eröffnungssätze betrachtet, erkennt man eine Frau, die sich darauf freut, Aufgaben zu lösen. Je schwieriger diese Aufgaben sind, desto spannender und interessanter findet das Merkel, desto freudiger geht sie ans Werk.
    In dieser Hinsicht ist sie mehr Wissenschaftlerin als Politikerin. Zur Politik gehört klassischerweise eine Idee, die man durchsetzen will. Je leichter das ist, desto besser, denn die Belohnung liegt darin, die Welt nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
    Ein Wissenschaftler, streng verstanden, will keine Idee durchsetzen, sondern eine Aufgabe lösen. Die Belohnung fällt umso höher aus, je schwieriger die Aufgabe war. So sieht das Merkel. Sie ist Aufgabenlöserin, die Ideen sind nachrangig.
    Deshalb fällt es ihr auch leicht, althergebrachte Positionen der CDU zur Familie, zur Kernkraft oder zur Westbindung aufzugeben. Merkel ist mehr Marxistin als Hegelianerin. Sie versucht nicht, die Verhältnisse den Ideen anzupassen, sondern richtet ihre Ideen nach den Verhältnissen. Man kann das auch Pragmatismus nennen oder einfach Wendigkeit.
    Einen ihrer seltenen Ausbrüche hatte Merkel, als sie über die Strategie der Grünen nach der Berliner Landtagswahl sprach. Sie fand es unmöglich, dass die Partei darauf bestand, ein Autobahnstück nicht ausbauen zu lassen, womit sie für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit als Koalitionspartner ausfiel. Sie könne sich darüber richtig erzürnen, brach es aus Merkel heraus. Ihre Stimme wurde lauter, die Worte strömten schneller, sie war unter Dampf, als sie erzählte, welche Deals die Grünen untereinander und mit der SPD hätten machen müssen, um in der Berliner Regierung zu landen.
    Es war ein Moment, der die Kanzlerin kompetent zeigte. Sie weiß, wie so etwas geht. Das ist das Politische an ihr: das Streben nach Machtanteilen. Aber es war auch ein trauriger Moment. Ich habe nicht einmal erlebt, wie sie sich in einer Sachfrage ähnlich erregt hat. Es ist keine originelle Erkenntnis, aber eine andere ist nicht möglich: Merkels Leidenschaft gehört dem Machtspiel.
    Eine notorisch unüberraschte Aufgabenlöserin mit hohem Machtwillen ist eine unangenehme Gegnerin. Man kann sie kaum zermürben, weil jede neue Schwierigkeit als neue Aufgabe willkommen geheißen wird. Man kann sie kaum zur Verliererin machen, weil mit jedem Kompromiss ihre Aufgabe gelöst ist, sei er noch so faul, wie die Gesundheitsreform oder die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke.
    Merkel arbeitet mit der stahlharten Kraft des Spaßes. Sie hat Spaß, wenn sie Akten studiert, sie hat Spaß, wenn sie in ewigen Sitzungen sitzt. Sie genießt noch immer die exotischen Seiten, die ihr die Reisen bieten, zum Beispiel die Staatsjurte in Ulan Bator mit dem Angebot, Stutenmilch zu trinken, oder ein Mittagessen in Nairobi, das eine Mischung war aus Staatsbankett und Disco, rote Tücher in einem Hotelsaal, Lichterketten, grün, weiß, rot, und eine Band, die etwas orgellastig, aber ungemein fröhlich aufspielte. Merkel nippte an ihrem Weißwein und freute sich.
    Allerdings gibt es da auch noch die Journalisten, die ständig an ihren Rockschößen hängen und die sie vielleicht so betrachtet, wie es Peter Handke in seinem Stück "Untertagblues" beschrieben hat: "Und schon wieder ihr. Und schon wieder muss ich mit euch zusammen sein. Halleluja. Miserere. Ebbe ohne Flut. Ihr verdammten Unvermeidlichen." Sie sitzen bei Hintergrundgesprächen in ihrem Speisesaal, in ihrem Kabinettssaal und in der Lounge ihres Flugzeugs.
    Die sieht ungefähr so aus, als hätte sie ein orientalischer Waffenhändler einrichten lassen, glänzend lackiertes Edelholz, dicke Polstermöbel, lila Licht, metallgerahmte Bildschirme, die anzeigen, wo die Maschine gerade ist.
    Merkel kommt und bietet den Kontrast dazu. In ihren Händen hält sie einen dampfenden Pappbecher mit der Aufschrift: "Schöner wach werden in einem Hotel von HRS". Sie quetscht sich zwischen zwei Journalisten, die Lounge ist zu klein, und sagt: "Also, wir fliegen nach New York, wie bekannt ist." – "So, Mongolei ist das Thema." – "So, also guten Tag und herzlich willkommen auf der Afrika-Reise." – "Ja, wir fliegen bekanntermaßen nach Singapur." – "Also, es geht jetzt nach Indien." – "Ja, wir reisen nach Malta und Zypern."
    Wer noch nicht mitbekommen hat,

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