Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Mascolo
Vom Netzwerk:
Merkel hat keine Sicherheit darin, Gefühle auszudrücken.
    Sie hat nie Überraschung gezeigt, hat mit allem immer schon gerechnet und findet nichts dramatisch. Sie erzählt sich und ihren Zuhörern die Welt so, dass sie nicht heftig darauf reagieren muss. In ihrer Sprache heißt ein Streit mit der CSU "kleine Ausbuchtungen". Da kann man ja nur gelassen bleiben.
    Merkels Dauerauftrag an sich selbst ist die Reduktion, runterdimmen, kleinmachen, entdramatisieren. Das hat den Vorteil, dass die Lage immer beherrschbar scheint, in ihrer Nähe kann Hysterie nicht aufkommen. Aber es hat den Nachteil, dass ihre Politik stumpf wirkt.
    Mindestens zwei Spitzenpolitiker der Union haben Angela Merkel in den letzten Monaten ermuntert, eine große, gern auch emotionale Rede zur Lage des Euro zu halten, übertragen vom Fernsehen und vom Radio. Sie wollte das nicht. Sie will auf keinen Fall in eine große Gefühlssituation kommen, als habe sie die Sorge, dazu nicht das Richtige auf die richtige Weise sagen zu können.
    Ihren Wahlkampf 2009 führte sie mit Absicht extrem stumpf, damit sich niemand über sie ärgern musste, also nicht ihretwegen für eine andere Partei stimmte. Sie hielt die Emotionen klein und damit auch die Wahlbeteiligung. Darin sah sie einen Vorteil für die Union, und ihre Rechnung ging auf. Aber der Demokratie, die zur Legitimation eine hohe Wahlbeteiligung braucht, hat sie damit einen Bärendienst erwiesen.
    Ich habe dreimal bei ihr etwas erlebt, das man einen emotionalen Ausbruch nennen könnte. Einmal ging es um Karl-Theodor zu Guttenberg. Das war im März dieses Jahres, kurz nach seinem Rücktritt als Verteidigungsminister. Er hatte bei seiner Doktorarbeit heftig getrickst. Merkel wurde darauf angesprochen, und normalerweise weint sie Scheidenden keine Träne nach, aber diesmal zeigte sie sich berührt, zeigte eine Mischung aus Wut und Traurigkeit. Wut, weil Guttenberg so geschmäht wurde, Traurigkeit, weil er ihr fehlen würde.
    Sie hielt spontan eine kleine emotionale Rede, sie rühmte ihn für sein Talent, Menschen zu erreichen, für seine Gewandtheit auf dem Parkett, sein gutes Aussehen, sie zeigte Freude darüber, dass jemand in ihrer Nähe war, der ein Star ist, nicht ein politischer Star, sondern ein Popstar. Merkel war während dieses Vortrags so bewegt, dass sie die ganze Zeit ein Fadenende an ihrem Ärmelknopf drehte. Am Ende sagte sie, dass "offenkundig die hohe emotionale Kompetenz, Menschen zu erreichen, nicht kombinierbar ist mit bürokratischer Akribie". Ein Satz über Guttenberg, aber er ergibt auch Sinn als Satz über die Unvereinbarkeit von ihren und Guttenbergs Fähigkeiten. An bürokratischer Akribie, an Detailbesessenheit lässt sie sich von keinem anderen Spitzenpolitiker übertreffen.
    Sie hatte schon bei anderer Gelegenheit Guttenberg mit den Worten gerühmt, "ich finde das schön, ich kann nicht alles schaffen und abdecken". Er war eine Ergänzung ihrer selbst, war ihr Minister für Emotionen, für politisches Spektakel. Seltsam ist allerdings, dass sie eine emotionale Rede halten konnte auf einen Mann, der die emotionalen Defizite ihrer Politik ausbügeln sollte.
    Die Pointe ihrer Kanzlerschaft ist, dass sie einmal eine schwerwiegende Entscheidung aufgrund von Emotionen getroffen hat. Das war der Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima. Merkel hat erzählt, wie erschüttert sie von diesen Bildern war. Sie sah die rauchenden Meiler auch mit den Augen einer Physikerin, die allen weisgemacht hatte, das Restrisiko sei zu vernachlässigen. Sie musste etwas wiedergutmachen und verordnete ihrer Partei und Deutschland einen Hals-über-Kopf-Ausstieg.
Bundeskanzlerin als Beruf
    Es gibt Kartoffelsuppe, wieder gibt es Kartoffelsuppe. Angela Merkel kocht gern selbst Kartoffelsuppe, aber sie lässt sie auch den Berliner Büroleitern zum Hintergrundgespräch auftischen. Kanzleramt, achter Stock, Speisesaal, Merkel beginnt mit einem kleinen Vortrag, dann folgt eine Fragerunde. Gibt es Kartoffelsuppe, nimmt Merkel einmal nach, "zwei Kellchen", sagt sie dann zum Kellner.
    Am 9. September 2010 begann Merkel ihren Vortrag so: "Die Herbstsaison hat begonnen. Es wird ein Schlagabtausch stattfinden, auf den man sich freuen kann."
    Am 20. Januar 2011 so: "Dies wird eines der spannendsten Jahre."
    Am 29. August 2011 so: "Es verspricht ja ein interessanter Herbst zu werden."
    Freude. Spannung. Interessantsein. Merkel spricht häufig so über ihre Arbeit. Sie ist gern Bundeskanzlerin,

Weitere Kostenlose Bücher