SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
Flug von Nigeria nach Berlin im Juli dieses Jahres. Bei einem Mittagessen hat sie den nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan gefragt, ob er zu Hause koche. Jonathan musste lachen. Er, der Präsident, ein Mann und kochen? Sie koche gern, hat ihm Merkel gesagt, und sie mache ihrem Mann das Frühstück. Jonathan stand auf und sagte in seiner Tischrede, die nigerianischen Frauen sollten sich ein Beispiel an der Bundeskanzlerin nehmen und ihren Männern auch jeden Morgen das Frühstück machen.
Merkel war amüsiert, als sie diese Geschichte im Flugzeug erzählte. Sie hatte etwas anderes gewollt. Sie hatte Jonathan als Menschen angesprochen, als ein Wesen, dem es möglich sein könnte, zu Hause zu kochen, so wie sie auch gern kocht und das Frühstück zubereitet. Jonathan machte daraus eine politische Botschaft: Ihr Frauen, seid dienstfertig gegenüber euren Männern.
Es ist tatsächlich nicht ganz leicht, sich vorzustellen, wie Angela Merkel morgens das Frühstück macht, Kaffee brüht und Marmelade auf den Tisch stellt, verschlafen noch, vielleicht mit ersten trüben Gedanken an den Euro. Sie ist die Bundeskanzlerin, sie trägt die Aura dieses Amtes mit sich, und darin verschwindet leicht der Mensch, der sich so verhält wie andere auch.
Merkel hat das Image eines Regierungsautomaten, sie gilt als kühl, als ewig gleichmütig, unnahbar. Ihre Einheitskleidung, Hose und ein zugeknöpftes Sakko, unterstreicht den Eindruck der Entrücktheit. Nach diesem Bild ist sie ein Mensch, der nicht das Frühstück macht.
Es ist die Rolle, die sie in der Öffentlichkeit spielt, das Bild, das sie abgibt. Aber es ist ein unvollständiges Bild. Ich habe Angela Merkel über viele Jahre begleitet, war auf ihren Reisen dabei, habe an fast allen Hintergrundgesprächen teilgenommen und sie oft auf ihren Terminen beobachtet. Sie war auch kühl, auch gleichmütig, nicht unnahbar, aber meistens distanziert. Ein Regierungsautomat ist sie jedoch nicht. Es gab immer wieder Momente, in denen sie anders war, in denen Merkel ein lebhaftes Gemüt zeigte. Im kleinen Kreis ist sie oft ganz anders als in der Öffentlichkeit.
Gemüt ist das Wort, um das es hier vor allem gehen soll. Was für ein Gemüt hat Angela Merkel, und welche Folgen hat das für ihre Politik, vor allem für ihren Kampf um den Euro?
Ein Gemüt setzt sich zusammen aus den Emotionen, die da sind, und denen, die nicht da sind. Emotionen bewegen sich im Spektrum von Liebe und Hass, das sind die Extreme.
In meinen Notizen findet sich einmal das Wort "geliebt". Da ging es um die Wehrpflicht, die habe sie geliebt, hat Angela Merkel gesagt. Es hat sie nicht daran gehindert, die Wehrpflicht ruck, zuck auszusetzen. Eine große Liebe war es wohl nicht. Hass kam nicht vor bei ihr, jedenfalls nicht hörbar, nicht sichtbar. Aber jenseits dieser Extreme kann man mit Merkel alles erleben. Zorn, maßlose Heiterkeit, Zuneigung, Missmut, Freude, Traurigkeit.
Tränen? Nie gesehen, außer Lachtränen. Frage an einen Vertrauten, der oft bei ihr ist: Gibt es Tränen der Traurigkeit oder der Wut bei der Bundeskanzlerin? Antwort: "Es gibt das gesamte Spektrum emotionaler Ausdrucksweise."
Also auch Tränen?
"Das gesamte Spektrum."
Ist das relevant? Politik werde zu stark personalisiert, heißt ein Vorwurf gegen die Medien, auch gegen den SPIEGEL. Es müsse mehr um Sachthemen gehen. Natürlich muss es um Sachthemen gehen, aber es kommt zudem sehr auf das regierende Gemüt an, auf den Menschen. Es macht einen riesigen Unterschied, ob Angela Merkel oder Peer Steinbrück regiert, und zwar nicht wegen der Programme, Ideologien oder Visionen, die spielen keine so große Rolle mehr – sondern wegen der Gemüter. Der Mensch in der Spitzenpolitik ist in all seinen Empfindungen politisch relevant, weil die Spitzenpolitik den ganzen Menschen fordert.
Paradoxerweise ist es umso schwieriger, über eine Bundeskanzlerin zu schreiben, je mehr man von ihr mitbekommt. Man sammelt ein Wissen an, das man nicht verwenden darf. Ich habe Dutzende Hintergrundgespräche erlebt, aber alle waren "unter drei". Das heißt, es darf nichts davon berichtet werden. Das Absurde daran ist, dass man nicht für sich zu diesen Hintergrundgesprächen geht, sondern für seine Leser. Aber die sollen nichts erfahren dürfen.
Als Angela Merkel in der Mongolei war, empfing sie der Präsident in der Staatsjurte, einem Zelt, das in Ulan Bator im Regierungspalast steht. Merkel wurde dort Stutenmilch angeboten, weil das in der Mongolei so
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