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üblich ist. Auf dem Rückflug nach Berlin fragte ein Journalist Regierungssprecher Steffen Seibert, ob die Bundeskanzlerin von der Stutenmilch gekostet habe. Seibert gab Auskunft, rief dann aber, das sei "unter drei". Die Stutenmilch war damit Staatsgeheimnis. So absurd ist das.
Fast alle Teilnehmer von Merkels Hintergrundrunde – das sind vor allem die Berliner Büroleiter der großen Medien – spielen mit diesem System. Sie deuten an, zitieren ohne Quellenangabe oder auch einmal vorsichtig mit, es gibt da eine Grauzone.
Dies ist ein Grauzonenbericht, es geht tief hinein, ohne dass Staatsgeheimnisse ausgeplaudert werden, jedenfalls keine bedeutenden.
Mensch Merkel
Merkel lacht. Sie steht im Regierungsflugzeug und lacht haltlos. Sie kann nicht mehr sprechen, ihre Augen glänzen, ihr Körper bebt. Sie will weiterreden, aber ihre Worte verenden in einem Prusten, sie lacht weiter. Tränen. Glucksen.
Sie kommt aus Litauen und hat gerade erzählt, dass die Litauer besorgt sind wegen eines Atomkraftwerks, das die Weißrussen an der Grenze bauen. Eines Tages hat sich der litauische Ministerpräsident offenkundig entschlossen, mit seiner Familie zu dieser Baustelle zu radeln, um sich mal einen Eindruck zu machen, getarnt als Touristen. Merkel ist an dieser Stelle schon ziemlich amüsiert. Aber dann war es noch so, dass der radelnde Ministerpräsident von der weißrussischen Polizei aufgegriffen wurde. Merkel beginnt zu lachen und verliert sich in diesem Lachen.
Sie kann ausgelassen sein. Sie ist ein eher fröhlicher Mensch, einer ihrer Hauptzustände ist der des Amüsiertseins. Sie findet vieles lustig an ihrem Kanzlerinnenleben, vor allem das, was ringsum so schiefgeht. Merkel ist nicht unbedingt ein Fan des Gelingens, wenn es um andere Leute geht.
In der Lachszene zeigt sich auch Statusbewusstsein. Man kann das nur so ungeheuer lustig finden, wenn man es für undenkbar hält, dass ein Regierungschef zur AKW-Baustelle eines Nachbarlandes radelt. Merkels Lachen ist also eine ähnliche Reaktion wie die von Goodluck Jonathan auf ihren Frühstücksservice für Joachim Sauer. Es zeigt sich jeweils die Verwunderung, dass andere Amtsträger ihre Amtswürde etwas lax definieren. Jeder hat ein eigenes Verständnis davon, wie weit er Mensch bleiben kann. Eine Grenze sieht aber jeder am Ende. Bei Merkel ist sie nur ein kurzes Stück in Richtung Staatsfrau verschoben.
Auf der dunklen Seite gibt es keine entsprechende Ausgelassenheit bei Merkel. Ich habe sie nie im Zorn brüllen gehört, und ihre Mitarbeiter sagen auch, dass sie das nicht tue. Ihre Art, Zorn zu zeigen, ist die Kälte. Bei einer Gesprächsrunde zu den Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verhedderte sie sich einmal in den Zahlen und Fakten und bat einen Beamten um Hilfe. Der redete los, machte es aber nicht besser.
"Das ist eine sehr beachtliche Bemerkung", sagte Merkel zu dem Beamten. In ihrem Gesicht zeigte sich ein mokantes Lächeln, und ihr Ton war von böser Ironie vergiftet. Der Beamte erglühte und verlor dann seine Gesichtsfarbe. Als Leiche saß er weiterhin mit am Tisch.
Nach dem Gespräch ging Merkel zu ihm und sagte: "Die Antwort war auf jeden Fall richtig, hat mir aber nicht weitergeholfen." Ihr Gesicht war freundlich, milde, der Ton versöhnlich. In den Beamten zog wieder Leben ein. Merkel ist eine Herrscherin, die ihre Grausamkeiten nicht auf die Spitze treiben will.
Sie kann furchterregende Gesichter machen, und seltsamerweise passiert das oft, wenn sie Fragen hört. Man fragt also, wie das beim Präsidenten von Amerika oder Angola war oder wie es weitergeht mit der Koalition, und schaut dabei in eine Miene, die eine Bedrohung ist. Die Augen sind zusammengekniffen, das Kinn rückt vor, die Lippen sind schmal und bleich, weil Merkel sie fest aneinanderpresst.
Dann kommt eine freundliche Antwort, auch nach aggressiven Fragen. Das ist ein Rätsel ihrer Mimik, die manchmal verrutscht wirkt, als wären ihr Gemütszustand und ihr Gesicht nicht ordentlich aufeinander abgestimmt. Sie guckt grimmig, ohne grimmig zu sein, und sie weiß das. "Das ist halt meine Art", hat sie dazu gesagt.
Mit ihrer Sprache ist es ähnlich. Ihr verrutschen oft die Sätze, die eine Emotion ausdrücken sollen. Sie hat gesagt, dass sie sich über den Tod von Osama Bin Laden freue, und das war so kalt, dass sie, die Christin, es kaum so empfunden haben dürfte. Zum Abgang von Horst Köhler ist ihr das Kuriosum eingefallen, sie würde den aufs "Allerhärteste" bedauern.
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