SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
täglich abstimmen, sich nicht immer einig sind, und manchmal erkläre ihm die Bundeskanzlerin "in langen Sätzen" den deutschen Ansatz, und Merkel ist da schon amüsiert, und Sarkozy erzählt einen Witz, und sie lacht und freut sich ein Loch in den Bauch über diesen drolligen Mann neben ihr. Großes Getuschel, Gekicher und Geherze beim Abschied. Es ist nicht Liebe, aber gewiss auch nicht Hass.
Sarkozy ist das Gegenteil von Merkel, er ist die leibhaftige Unruhe einer Uhr, er redet und redet und sprüht vor Emotionalität. Manchmal, in den Verhandlungspausen, hört ihn die deutsche Delegation seine Mitarbeiter anbrüllen. Wenn er wieder bei Merkel sitzt, schwankt er zwischen Galanterie und Überredungsfuror. Die beiden schenken sich nichts.
Ich habe nicht einmal erlebt, dass Merkel über Sarkozy gelästert oder gespottet hat, und sie ist eine große Spötterin. Wo er zu viel rede, rede sie zu wenig, sagte sie einmal, was er anders zu sehen scheint, siehe die "langen Sätze".
Sie habe Konflikte mit ihm, sagt Merkel, aber ihre Treffen seien "getragen von einem tiefen Verständnis und der Überzeugung, dass man immer wieder zusammenfinden muss", außerdem von dem "tiefen Gefühl, es geht weiter". Sie hat einen ähnlichen Satz einmal über Guido Westerwelle gesagt, als der noch ihr Vizekanzler war. Es sind Sätze ohne Wärme, durchdrungen von Professionalität. Sie ist manchmal genervt, aber unerbittlich konstruktiv. Hier spricht die Aufgabenlöserin.
Sarkozy ist der dominante Typ, aber Merkel hat die dominante Wirtschaft im Rücken. Er möchte deutsches Geld und deutsche Bonität für die Rettungsaktionen, sie möchte möglichst wenig davon hergeben. Er bekommt weniger, als er will, sie gibt mehr, als sie wollte.
Merkels Problem ist, dass sich die beiden Ansätze ihrer Strategie schwer vereinbaren lassen: einerseits deutsches Geld beisammenhalten, andererseits ein deutsches Europa bauen. Sie versucht daher, sich so lange wie möglich gegen gemeinschaftliche Lösungen zu wehren, die deutschen Leistungen also niedrigzuhalten, um schließlich doch einzulenken, damit es mit Europa weitergehen kann.
Sie hat gleich zu Beginn der Krise einen großen Fehler gemacht. Sie hätte eine Rede halten müssen mit dem Inhalt: Wir sind gute Europäer, wir werden alle Instrumente einsetzen, die nötig sind, um die Krise zu lösen. Wir können jetzt aber noch nicht sagen, welche Instrumente das sein werden, weil wir den Verlauf der Krise nicht kennen.
Dies wäre ein offener Ansatz gewesen. Sie hat sich für einen geschlossenen Ansatz entschieden. Das wirkte dann so, dass ihr die Instrumente immer wieder abgehandelt werden mussten oder sie verspätet zu der Einsicht kam, sie anzuwenden. Ihre Krisenpolitik konnte damit nie souverän erscheinen und damit auch nicht besonders vertrauenswürdig.
Über einen Schuldenschnitt für Griechenland hat sie sich noch im Juli skeptisch geäußert. Dies war ohnehin der Monat, in dem sie das einzige Mal unsicher wirkte und davon redete, dass sie selbst manches nicht verstehe. In Kenia besuchte sie ein Forschungszentrum für Nutztierhaltung, Kittel an, Biologie, Rindviecher, Kittel aus. Am Ende des Rundgangs warteten die Unvermeidlichen und fragten nach dem Euro. Merkel guckte furchterregend, und diesmal passte ihr Gesicht wohl zu ihrem Gemütszustand. Kein Wort, nur dieser Blick. Sie stürmte zu ihrer Limousine, verschwand darin, brauste davon.
Nach der Sommerpause trat sie wieder gefestigt auf. Sie hatte sich zu einem Schuldenschnitt durchgerungen. Als sie ihn im Oktober in Brüssel bei den Banken durchsetzte, sah sie aus wie eine Siegerin, aber das war auch ein Sieg über sich selbst. Mit den Euro-Bonds könnte es ähnlich kommen.
Merkels Politik der Deutschland-Vergrößerung ist nur möglich, weil ihr Gemüt so ist, wie es ist, leise, bescheiden, samtpfotig, eine Patriotin ohne Pathos, weshalb man gar nicht so richtig merkt, wie national orientiert ihre Politik ist. Dass sie sich aber traut, nur 66 Jahre nach Kriegsende ein deutsches Dominanzprojekt in der Euro-Zone zu verfolgen, spricht für historische Unbekümmertheit.
Sie ist keine Politikerin, die ihren Ansatz stark aus der Geschichte bezieht. Über historische Linien habe ich sie nur einmal reden hören, da ging es um kommunistische Geschichtsphilosophie. Die Vorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch, hatte gesagt, dass der Kommunismus ein Ziel ihrer Partei bleibe.
Merkel flog da von Malta nach Zypern, stand im Flugzeug und erklärte,
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