SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
marschiert vorbei an weißen Orchideen und einer Hütte, vor der rund geformte Kuhfladen trocknen. Neben den Fladen hocken afghanische Männer. Sommerkorn sagt "Salam alaikum". Die Afghanen schweigen. Ihre Augen wirken feindselig, aber vielleicht sind sie nur ungewohnt schwarz.
Sommerkorn marschiert zu einem Hügel, der umringt ist von Stacheldraht und einer Mauer aus schottergefüllten Drahtkörben. Dahinter steht Sommerkorns Panzer, sein Fahrer hat ihn am Morgen hierhingefahren. In den kommenden vier Nächten wird Sommerkorn hinter seinem Panzer schlafen, am Fuß dieses Berges, unter einem Dach aus Wellblech. Auf dem Hügel leben ein Dutzend amerikanische Special Forces, Männer mit Baseballcaps und Vollbärten, die keine Namen auf ihrer Uniform tragen und häufig "fuck" sagen. Sie haben den Hügel "Combat Outpost Russian Hill" genannt, weil sie Menschenknochen gefunden haben und glauben, dass in der Erde ein Massengrab der Sowjets liege.
Die Deutschen erzählen sich, dass die Special Forces nachts den Russian Hill runterklettern, um Taliban zu jagen. So hatte sich Sommerkorn das auch mal vorgestellt, als er hier ankam.
Er kriecht unter ein Moskitonetz und legt sich auf sein Feldbett, an den Spitzen seiner Zehen wölben sich Blasen. Sommerkorn schaut sich das Lager an, die Mauer, über die jederzeit ein Afghane eine Handgranate werfen könnte. Zwischen den Panzern spannen sich Schnüre, auf denen die Soldaten ihre durchgeschwitzten Hemden trocknen, 34 Feldbetten bilden eine Reihe, darauf und davor liegen halbnackte Soldaten. Sie essen die Haferkekse aus ihren Verpflegungspaketen, sie lesen Bücher mit Titeln wie "Im Auge des Jägers", sie essen die Schokolade aus ihren Verpflegungspaketen, sie schreiben Briefe, sie essen die Müsliriegel aus ihren Verpflegungspaketen.
Nach ein paar Stunden liegen die meisten stumpf auf ihrem Feldbett und warten darauf, dass irgendetwas passiert.
Sommerkorn erlebt seinen Einsatz in einer Zeitrechnung, in der Montag oder Dienstag nichts bedeuten, Tag oder Nacht auch nicht. Er gibt seinem Tag Struktur mit ein, zwei oder drei Operationen und dem Warten darauf.
Am Nachmittag steigt er zusammen mit drei weiteren Scharfschützen wieder auf seinen Panzer und fährt zu einer afghanischen Polizeistation. Die Station besteht aus einer Hütte aus Lehm und einem Wall. Sommerkorn soll von diesem Wall aus eine Bergkette beobachten.
Vier afghanische Polizisten mit geröteten Augen und Kalaschnikows laufen über den Wall und starren Sommerkorn an. Seine Augen wirken feindselig, aber vielleicht sind sie nur ungewohnt blau.
"Vertraust du denen?", fragt einer der Scharfschützen.
"Nein", sagt Sommerkorn.
Drei der deutschen Soldaten richten ihr Gewehr auf die Bergkette, ein vierter beobachtet die Afghanen. So, dass sie es nicht merken, aber auch so, dass er alle von ihnen erschießen könnte.
"Als Scharfschütze ist dein Job eigentlich das Töten", sagt ein Soldat, der neben Sommerkorn liegt, "da will man natürlich wissen, wie das ist. Es gibt drei Möglichkeiten: Erstens, es ist nicht so dein Ding. Zweitens, es ist nicht schön, aber okay. Drittens, es ist eigentlich ganz gut."
Sommerkorn kann 72 Stunden marschieren und danach so schießen, dass das Projektil aus 1000 Metern einen Menschen trifft. Einen Menschen aus Pappe. Wie das mit einem Menschen aus Fleisch wäre, weiß Sommerkorn nicht. Keiner der Scharfschützen im Echozug hat jemals auf einen Menschen geschossen.
Ein Afghane mit hennaroten Haaren klettert auf den Wall. Sommerkorn weiß nicht, ob der Mann ein Polizist ist und wo er steht in diesem Krieg. Der Mann führt einen der afghanischen Polizisten zu den Soldaten, greift seine Hand und sagt: "Afghan soldiers very hard." Die Daumenkuppe des Polizisten ist halb abgeschnitten. Sommerkorn funkt einen Sanitäter an.
"Water?", fragt der Rothaarige.
"No, thanks", sagt Sommerkorn.
"You have water?"
"Äh, yes", sagt Sommerkorn und nimmt vier Flaschen aus einem Rucksack.
Einer der Polizisten zündet einen Joint an und reicht ihn den Deutschen. Sommerkorn schüttelt den Kopf und betrachtet die Afghanen, die rauchen, Wasser trinken und ihn anlächeln.
"Da hinten in den Bergen liegt das größte Schmutzdorf in dieser ganzen verkackten Provinz", sagt Sommerkorn, "da würde ich gern mal einen wegmachen."
Sommerkorn verarztet die Wunden der Afghanen, er gibt den Durstigen Wasser. Er zeigt, wie die Strategie der Generäle funktioniert, "Winning Hearts and Minds", "Herzen und Köpfe
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