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die Bundeswehr, zumindest hofft Stranow das.
In deutschen Talk-Runden klingt es cool, wenn man sagt, nichts ist gut in Afghanistan. Aber im Tal Dahana-i-Ghori sorgen Stranow und seine Männer dafür, dass Väter ihre Töchter zur Schule fahren können, ohne auf dem Weg zu sterben.
Stranow weiß, dass viele seiner Männer sich den Kampf wünschen. "Wir könnten den ganzen Raum frei von Taliban machen, aber dann haben wir vielleicht 20 tote deutsche Soldaten", sagt er.
Bei einem Verabschiedungsappell in Donaueschingen hat Stranow den Angehörigen seiner Soldaten gesagt, dass er alles tun werde, damit ihre Söhne, Männer, Brüder und Väter heil nach Hause kämen. Stranow hat drei Kinder. Sein jüngster Sohn ist vier Monate alt.
Stranow glaubt, wer diesen Krieg gewinnen wolle, müsse die Menschen gewinnen. Und mit Gewehrkugeln verliert man Menschen, auf beiden Seiten. Im Zweiten Weltkrieg galt für Scharfschützen der Leitsatz: Töte einen, ängstige Tausende. Heute im Krieg in Afghanistan sagt Oberstleutnant Stranow: "Es kann sein, dass wir einen Talib töten und dadurch 50 neue gebären."
Aus einer Tür neben Stranow tritt ein afghanischer Mann. "Salam alaikum", sagt Stranow. Friede sei mit dir.
"Tschetur hasti", sagt Stranow. Das ist Dari und heißt, wie geht's?
"Choda Hafes", sagt Stranow. Möge Gott dich schützen.
Der afghanische Mann bleibt stumm.
Manchmal ist es schwer, die Afghanen zu gewinnen, auch wenn man ihre Sprache lernt und ihre Straßen sichert.
Nach der Patrouille hält Stranow eine kurze Rede, sie handelt von Tapferkeit und sicheren Straßen. Am Ende sagt Stranow: "Es bricht sich keiner was ab, wenn er mal den Kindern winkt." Er schaut in die Runde und sagt: "Weitermachen."
Sommerkorn setzt sich mit den anderen Scharfschützen um einen Gasbrenner. In der Nacht soll er auf einen Hügel klettern und einen Pass beobachten, über den die Taliban ins Tal schleichen.
"Wir brauchen endlich einen TIC", sagt ein Mann mit Vollbart und Glatze. TIC steht für "troops in contact" und bedeutet Gefecht. Der Mann heißt Andy, er ist Sommerkorns Partner. Auf Andys linkem Arm steht in japanischen Schriftzeichen "Stärke" und "Stolz", auf seinem rechten steht "Ehre" und "Mut". Auf seinen Hals trägt er ein Tattoo, das das Eiserne Kreuz zeigt.
"Da ist ja irgendwo auch ein Druck, den ein Soldat hat, da hat man so lange drauf hingearbeitet", sagt Sommerkorn.
Einer der Scharfschützen sagt: "Wenn du genau siehst, wie du jemanden kaltmachst, wachst du in zwei Jahren auf und siehst die Fresse von dem Typen vor dir."
"Wenn ich den Auftrag bekommen würde, eine Zielperson auszuschalten, ist das für mich kein Mensch, sondern das ist ein Auftrag", sagt Sommerkorn.
Sommerkorn hält eine indische Reispfanne in der Hand und stochert mit seinem Plastiklöffel in den gelben Körnern.
"Aber ich glaube, dass das Töten einen Menschen verändert", sagt Sommerkorn, er überlegt, dann sagt er: "Natürlich will niemand irgendjemanden töten."
Man müsse das aus soldatischer Sicht sehen und aus menschlicher, sagt Andy. Auf seinem Handy hat Andy einen Satz gespeichert, der aus den inoffiziellen Zehn Geboten der Scharfschützen stammt. Das erste Gebot lautet: "Kämpfe fanatisch! Du bist ein Menschenjäger!"
Andy und Sommerkorn versuchen, ihren Krieg aus soldatischer Sicht zu sehen. Wenn Taliban auf sie schießen, werden sie zurückschießen. Sie müssen dabei nicht nachdenken. Anders wäre es, eine Zielperson über Stunden beobachten zu müssen und dann der Person ein .300-Winchester-Magnum-Projektil in die Stirn zu schießen. Der Schütze hätte Zeit zum Nachdenken. Er hätte die Wahl.
"Für mich ist das leichter", sagt der Bordschütze des Panzers, "für mich sieht das über den Bildschirm aus wie ein Computerspiel, zu Hause spiele ich ja auch Computer."
Die Soldaten sitzen auf ihren Betten und lauschen dem Zischen des Gaskochers. Auf der anderen Seite des Stacheldrahts hört man Kinderstimmen.
Fünf Stunden später ist die Nacht mondlos, die Panzer fahren ohne Licht. Sommerkorn und Andy springen bei laufendem Motor aus der Luke und verschwinden in der Dunkelheit. Man hört nur ihre Gummisohlen im Sand. Der Berg ist steil und kahl, oben ducken sich Andy und Sommerkorn in eine Kuhle. Der Berg ist ein afghanischer Friedhof, ein Grabhügel. Andy und Sommerkorn wissen nicht, worin sie liegen. Es kann eine gewöhnliche Kuhle sein oder ein Grab.
Andy schaut durch das Zielfernrohr des G22, Sommerkorn liegt daneben mit einem
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