SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
"Apocalypse Now", "Black Hawk Down", manche Soldaten fahren nach Afghanistan mit Bildern in ihrem Kopf, die sie aus Filmen kennen. Auch deshalb wollen sie kämpfen, sie wollen Hauptdarsteller sein, Helden.
"Ich lasse mich lieber hier unten ansprengen, als dass die bei uns zu Hause in die Hochhäuser fliegen", sagt der Stabsgefreite in Surfershorts. Sommerkorn denkt für einen Moment darüber nach, dann sagt er. "In welche Hochhäuser sind die denn bei uns geflogen?"
Der Stabsgefreite schweigt, er nimmt eine Packung Kaugummis vom Tisch und schiebt sich alle Kaugummis in den Mund. Er kaut ein wenig, dann spuckt er einen Klops Kaumasse auf den Tisch.
"Gib's halt mir", sagt ein Oberfeldwebel mit kurzen schwarzen Haaren. Der Oberfeldwebel heißt Julia Resch, sie ist 28, sie ist die einzige Frau in Sommerkorns Zug. Der Stabsgefreite nimmt den Klops und wirft ihn durch die Luft, Resch steckt sich die Masse in den Mund.
Das Kaugummi ist Teil von Reschs Strategie. Sie sagt, wenn sie will, dass die Männer sie akzeptieren, müsse sie das Weibliche ablegen. Ekel vor Essen, das andere im Mund hatten, ist weiblich.
Auf ihren Rücken hat Resch chinesische Zeichen stechen lassen, die übersetzt bedeuten: "Der Weg ist das Ziel." Aber das Ziel von Julia Resch ist es, am Ende des Weges anzukommen und so schnell gewesen zu sein wie die Männer.
Resch hat sich diesen Weg nicht ausgesucht. Die 34 Soldaten aus Sommerkorns Zug kämpfen nicht freiwillig in Afghanistan, sie wurden dazu eingeteilt. Nun versucht jeder von ihnen, den sechs Monaten Einsatz einen Sinn zu geben. Manche sparen die täglichen 110 Euro Auslandszulage für eine neue Küche, Sommerkorn will wissen, ob er töten kann, Julia Resch will beweisen, dass eine Frau genauso gut kämpfen kann wie ein Mann.
Zieht eigentlich irgendjemand in diesen Krieg wegen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus?
Am Abend, bevor Sommerkorn wieder auf den Russian Hill fährt, bekommt er ein Paket von seiner Mutter.
2 Gläser Nutella, 2 Gläser selbstgekochte Erdbeer-Rhabarber-Marmelade, 1 Büchse grobe Leberwurst, 1 Stück Speck, 1 Büchse Mandarinen, 1 Tube Senf, 1 Blutwurst, 2 Ritter Sport, 1 Brief. Es ist ein Karton gefüllt mit Deutschland. Sommerkorn schreibt seiner Mutter in einer E-Mail: Danke für das tolle Paket. Du weißt doch, dass ich keine Blutwurst esse.
Drei Tage später auf dem Russian Hill geht ein Mann zur Befehlsausgabe, dessen Körper unter besonderer Spannung zu stehen scheint, wie eine Gerte, die man biegt. Der Mann ist frisch rasiert.
Sommerkorn schlurft über den Kies. Als er den rasierten Soldaten sieht, macht er sich gerade. "Guten Tag, Herr Oberstleutnant", sagt Sommerkorn.
Oberstleutnant Peter Stranow ist der Kommandeur im OP North, ein 43 Jahre alter Mann mit Brille. Die Männer mögen ihn, weil er hart und gerecht führt und manchmal den Mannschaftssoldaten zum Geburtstag gratuliert. Stranow hat außerdem den Ruf, schneller rennen zu können als jeder seiner Infanteristen. Sein Codename auf dem Funk ist Greyhound.
Stranow nimmt ein paar tiefe Atemzüge und sagt dann: "Ist schon ganz eigen und schön hier."
"Schön" ist ein seltenes Wort in einem Kriegsgebiet. Stranow scheint im Dahana-i-Ghori auch das sehen zu können, was es einmal war und irgendwann wieder sein könnte. Ein Urlaubsziel bei Afghanen und Hippies, bekannt für die Sonnenblumen, das Gras und einen Sternenhimmel, an dem die Milchstraße hell strahlt.
Die Patrouille marschiert wieder zum Haus von Nu Rahman, vor dem Grundstück sinkt Stranow auf ein Knie. Der Oberleutnant will noch mal mit Nu Rahman reden. Nach einiger Zeit marschiert Julia Resch um die Ecke und sagt: "Alles läuft gut, der Oberleutnant ist glücklich mit dem Gespräch."
"Und der Doktor?", fragt Stranow. "Ist der Doktor auch glücklich?"
Die Frage, ob die Afghanen glücklich sind über den Besuch der Bundeswehr, scheint Resch nicht erwartet zu haben.
"Ich bringe das in Erfahrung, Herr Oberstleutnant", sagt sie und rennt.
Stranow denkt darüber nach, ob die Afghanen glücklicher werden durch die Arbeit seiner Männer. Die Bundeswehr hat in Baghlan den Auftrag, zwei Straßen zu sichern. Die Straßen kommen aus Kunduz und Masar-i-Scharif, vereinigen sich im Tal und führen weiter nach Kabul. Es sind wichtige Straßen. Stranow glaubt, dass hier einige Menschen leben, die die deutschen Soldaten gern aus dem Tal sprengen würden. Aber die Mehrheit der Menschen wolle sicher fahren, und deshalb mögen sie
Weitere Kostenlose Bücher