SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
Liegen, schießen im Knien, schießen im Stehen, schießen mit der Pistole P8, schießen mit dem Sturmgewehr G36, schießen mit dem Sturmgewehr G3, schießen mit dem Scharfschützengewehr G3 DMR, schießen mit dem Scharfschützengewehr G22, schießen mit dem Scharfschützengewehr G82. Sommerkorn hat geübt für diesen Krieg.
An diesem ersten Tag meiner Recherche fragt Sommerkorn: "Was soll das eigentlich für eine Geschichte werden, die du schreibst?"
Die Recherche für diese Geschichte begann im Frühjahr mit Gesprächen, E-Mails und Telefonaten. Es musste verhandelt werden, ob es möglich sei, als "embedded journalist" über die Bundeswehr zu berichten. "Embedded", eingebettet, bedeutet in diesem Fall, mit einer Kampftruppe in den Krieg zu ziehen. Die Bundeswehr hatte damit kaum Erfahrung, aber sie willigte ein.
Die Reise dauerte drei Wochen, sie wurde begleitet von einem Presseoffizier, der bei den meisten Gesprächen mit den Soldaten zuhörte. Zensur fand nicht statt.
Die Soldaten, von denen diese Geschichte erzählt, wollten, dass Deutschland weiß, in welchem Krieg sie kämpfen. Sie wollen Respekt.
An diesem Morgen sage ich Sommerkorn, dass es nur um eine Frage geht: Was machen deutsche Soldaten eigentlich in Afghanistan?
Sommerkorn wollte darauf keine Antwort geben.
Christian Sommerkorn ist in einem Dorf in der Nähe von Freiburg aufgewachsen, er ist 30 Jahre alt. Er hätte nichts dagegen, seinen wahren Namen gedruckt zu lesen, aber die Bundeswehr bittet darum, die Namen von Soldaten im Einsatz nicht zu nennen. Alle Namen der deutschen Soldaten in dieser Reportage sind geändert.
Sommerkorn hat den Realschulabschluss gemacht und Zimmermann gelernt. Dann kam sein Musterungsbescheid. Er hatte wenig Lust, alte Leute zu pflegen, also ging er mit 20 Jahren zur Bundeswehr. Er teilte sich die Stube mit fünf Männern, die nach Schweiß rochen. Er lernte schießen, es gefiel ihm. Sommerkorn verpflichtete sich für zwölf Jahre. Er wurde Scharfschütze in Donaueschingen am Rande des Schwarzwalds, bei einer Truppe, die sich "Jäger" nennt.
Als Sommerkorn erfuhr, dass sein Bataillon nach Afghanistan gehen würde, war seine Frau Jessika im vierten Monat schwanger. Sie sagte damals, da kommst du doch irgendwie drum rum. Sommerkorn sagte: "Da habe ich mich mein ganzes Berufsleben lang drauf vorbereitet."
Sein Großvater sagte ihm, bleib hier. Als Sommerkorn sagte, er müsse, sagte der Großvater, ich wünschte, ich könnte für dich gehen.
Der Einsatz führte Sommerkorn in die Provinz Baghlan, die eine Stunde Helikopterflug östlich von Masar-i-Scharif liegt. Das Land ist grün dort, bis an die Hänge des Hindukusch. In den Tälern wachsen Pistazien und Granatäpfel, es könnte ein Paradies sein, wenn die Menschen nicht wären. Die Menschen in Baghlan töten. Sie töten sich gegenseitig, sie werden von den Deutschen getötet, und sie töten die Deutschen. Von den 13 Bundeswehrsoldaten, die in den vergangenen eineinhalb Jahren in Afghanistan gestorben sind, starben 10 in Baghlan.
Sommerkorn hat in diesem Krieg bisher kein einziges Projektil abgefeuert. Geschossen hat er in Afghanistan nur auf der Schießbahn. "Das ist, als wenn du einen Hund scharfmachst und den nicht von der Leine lässt", sagt Sommerkorn.
Der Feind verbirgt seine Waffen in Kochtöpfen, in Bäumen, in Palmölkanistern. Der Sprengstoff besteht aus Pflanzendünger auf Harnstoffbasis, Autolack und Diesel. Taliban, die keinen Dünger besaßen, sollen schon Eselurin eingekocht haben, bis die Harnstoffkonzentration hoch genug war für eine Bombe.
IEDs, "improvised explosive devices", unkonventionelle Sprengvorrichtungen, so heißen die gebastelten Bomben in der Sprache des Militärs. Sie lassen sich nicht erschießen. Ein Soldat kann sie nur finden, bevor die IED ihn findet. "Bein ab wäre schon scheiße", sagt Sommerkorn.
Er versucht, sich auf seinen Auftrag zu konzentrieren und nicht darauf, ob es dieser Einsatz wert sei, ein Bein zu verlieren oder das Leben. Er spricht ungern über "große Politik", wie er es nennt. Er sagt, er wisse zu wenig über die großen Zusammenhänge dieses Krieges, um darüber zu sprechen, aber er weiß, was eine Bombe aus Dünger anrichten kann, und er weiß, wie es ist, in einem Land zu leben, das vergessen hat, wie sich Frieden anfühlt.
Sommerkorn und 33 andere Soldaten gehen durch Reisfelder. Sie bilden zusammen eine Kampftruppe mit dem Namen "Echozug, 3. Kompanie, Ausbildungsschutzbataillon MES". Sommerkorn
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