Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Mascolo
Vom Netzwerk:
gewinnen", aber Sommerkorn will etwas anderes.
    Die Taliban wollen einen Gottesstaat. Die afghanischen Polizisten wollen mit Sommerkorn einen Joint rauchen. Sommerkorn will Taliban wegmachen.
    Am nächsten Morgen haben sich die Blasen an seinen Füßen mit Flüssigkeit gefüllt. Sommerkorn trägt Turnschuhe.
    Die Befehle gibt ein Oberleutnant mit dem Brustkorb eines Gewichthebers, der sagt, er sei Soldat geworden, weil er seinem Land dienen wolle. Als er nach Afghanistan flog, postete er auf seiner Facebook-Seite: "Es lebe Deutschland!"
    Nun schaut der Oberleutnant auf Sommerkorns Turnschuhe und sagt: "Echo 3 bleibt heute auf dem Russian Hill." Echo 3 ist die Gruppe der Scharfschützen.
    "Wegen den Turnschuhen, oder was?", fragt Sommerkorn.
    "Ja", sagt der Oberleutnant. Sommerkorn geht zu seinem Feldbett, als er zurückkommt, trägt er Stiefel und humpelt.
    Die Patrouille marschiert in ein Dorf, und der Oberleutnant schüttelt die Hand eines Mannes, der einen Kugelschreiber in der Hemdtasche trägt, was vermuten lässt, dass er schreiben kann, das wäre etwas Besonderes in diesem Tal. Der Mann heißt Nu Rahman, der Oberleutnant nennt ihn Bezirksbürgermeister.
    Nu Rahman führt den Oberleutnant in sein Haus und serviert ihm Tee und Vollkornfladenbrot. Als der Oberleutnant wieder aus dem Haus tritt, sagt er, Doktor Nu Rahman habe darum gebeten, dass die Soldaten ihm ein paar Flaschen deutsches Bier vorbeibringen, weil er ein Nierenleiden habe, das durch deutsches Bier kuriert werden könne. Und er habe gesagt, bei den Amerikanern wisse jeder, warum sie in Afghanistan einmarschiert seien, bei den Deutschen sei das anders.
    Der Oberleutnant lächelt, als wäre das eine gute Nachricht. Die Soldaten wandern weiter. Zurück bleiben ein winkender Nu Rahman und seine Frage: Was will die Bundeswehr in Afghanistan?
    Oberfeldwebel Sommerkorn humpelt nicht, als er an seinem Oberleutnant vorbei durch das Eisentor am Russian Hill läuft. Bei jedem Schritt presst er die Kieferknochen aufeinander.
    Er sinkt auf sein Feldbett. Die Privatsphäre im Russian Hill spannt sich für jeden Soldaten über 190 mal 65 Zentimeter und besteht aus reißfestem Polyamid. Sommerkorn schaltet sein iPhone an und checkt, ob Jessika ihm gemailt hat.
    Nachts schläft Sommerkorn auf einem Kissen, das seine Frau ihm geschenkt hat. Darauf ist ein Foto gedruckt, es zeigt Christian, Jessika und Amy.
    Sommerkorn sagt, er habe seine Familie noch nie so intensiv geliebt wie hier, 5000 Kilometer von zu Hause entfernt.
    Der Krieg lässt die Soldaten Gefühle erleben, die stärker sind als vieles, was sie kannten. Wut, Hass, Angst, an schlechten Tagen. An guten Tagen Mut, Hoffnung, Liebe. Der Krieg verstärkt auch die Gefühle an den Tagen dazwischen, Tage, die nicht gut sind und nicht schlecht, sondern nur leer.
    Diese Tage erlebt Sommerkorn im Observation Post North, dem Basislager der Bundeswehr in der Provinz Baghlan. Der Observation Post North liegt auf einem Berg, den 700 Soldaten und eine Milliarde Mücken bewohnen. Die Soldaten leben dort in Zelten, die sie in den Staub gebaut haben. Der Staub kriecht in die Waffen und scheuert zwischen den Beinen.
    Es ist ein Donnerstag, Lariam-Tag.
    Lariam ist ein Medikament, das vor Malaria schützt. Die Soldaten sollen es einmal in der Woche schlucken. Lariam steht im Verdacht, bei manchen Menschen zu Psychosen zu führen. Einige Soldaten schmeißen die Pillen in den Müll, andere schlucken alle auf einmal.
    Sommerkorn hockt vor einem Gasbrenner und erhitzt "Typ II Fertiggericht 2: Indische Reispfanne 300 g". Die Männer haben diskutiert, ob es möglich sei, am eigenen Ellenbogen zu lecken, und ob in München ein einarmiger Koch Buletten in seiner Achselhöhle forme. Nun reden sie über Angst.
    "Ich habe Angst, dass meine Tochter vergisst, wer ich bin", sagt Sommerkorn.
    "Hättest du Angst, ein Ziegenei zu essen?", fragt ein Stabsgefreiter in Surfershorts.
    "Ich habe Angst, dass meine Frau und ich nicht wieder zusammenfinden, wenn ich zurück bin", sagt ein Panzerfahrer.
    "Für wie viel Geld würdest du ein Ziegenei essen?", fragt der Stabsgefreite.
    "Ich habe keine Angst", sagt Sommerkorn, "was ich habe, sind einige ganz besondere Fähigkeiten. Fähigkeiten, die ich mir im Laufe vieler Jahre angeeignet habe. Fähigkeiten, die mich zum Alptraum machen für Typen wie Sie." Es ist ein Zitat aus dem Film "96 Hours". In dem Film tötet ein Vater viele Menschen, und am Ende umarmt er seine Tochter.
    "96 Hours",

Weitere Kostenlose Bücher