SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
RPGs sind Granaten.
Das Funkgerät krächzt. Aufständische haben im Norden von Baghlan auf eine Patrouille gefeuert. Sommerkorn nickt, als über Funk die Nachricht kommt, dass die U. S. Air Force zwei F-16-Jets schickt. Nach einer Stunde beruhigt sich die Lage, die Kampfjets drehen ab, die Soldaten gehen duschen. Nur Sommerkorn hockt noch vor einer Karte Baghlans und gleitet mit seinen Fingern wie ein Feldherr über das Tal, in dem er bis Februar dienen wird.
Die Bundeswehr hat Sommerkorn den Tag nicht genannt, an dem er zurückfliegen wird, aber er denkt schon an das erste Essen mit Jessika bei McDonalds's und an einen Caesar Salad mit Hähnchenbrust.
Und er denkt an den Tag, an dem er im kommenden Sommer seine Uniform ausziehen wird, wenn seine zwölf Jahre als Zeitsoldat vorbei sind und Sommerkorn sein Abitur nachmachen wird. Danach würde er gern in der Justiz arbeiten oder im Bundesamt für Güterverkehr. Eine Laufbahn als Beamter wäre schön, sagt Sommerkorn, wegen der Sicherheit.
In der vergangenen Nacht auf dem Grabhügel hat Sommerkorn ein wenig in die Sterne gesehen und darüber nachgedacht, dass Jessika, Felina und Amy daheim in denselben Himmel schauen. Nur Sommerkorn weiß, was er in diesem Moment gedacht hat über diesen Krieg.
Vielleicht könnte Oberfeldwebel Christian Sommerkorn am Ende durch das Warten auf den Schuss mehr erfahren über sich und den Krieg als durch den Schuss selbst. Eine Erkenntnis, die wenig gemein hat mit dem Bild von Krieg, das er aus Filmen kannte. In der Nacht auf dem Hügel sagte Sommerkorn, leise, so dass der Feind nichts hört: "Für mich ist das Wichtigste, dass ich nach Hause gehe und noch der gleiche Mann bin."
Auch Oberstleutnant Stranow schaut an diesem Abend auf die Karte Baghlans, er geht davor auf und ab in seinem Konferenzzimmer und plant, wie er auf den Angriff reagieren wird. Am kommenden Morgen werden Truppen der Afghanen zusammen mit der Bundeswehr ausrücken und nach Minen suchen. "Wir müssen ein Zeichen setzen", sagt Stranow, er sitzt in einem großen Sessel, die Spannung ist aus seinem Körper gewichen.
Morgen früh vor fünf Uhr wird Oberstleutnant Peter Stranow aufstehen und wieder die Uniform anziehen mit der schwarz-rot-goldenen Fahne auf den Schultern. Er wird auch seine Tarnhose überstreifen und wie jeden Morgen eine Postkarte in die Beintasche stecken. Die Karte hat Stranow per Feldpost von seiner Tochter Lina bekommen. Stranow trägt diese Karte immer bei sich, sie erinnert ihn an daheim, daran, dass in einem Haus in Süddeutschland eine Frau und drei Kinder darauf warten, dass er zurückkehrt aus diesem Krieg.
Auf der Postkarte steht nur ein Satz, geschrieben in der Schrift eines siebenjährigen Mädchens: "Lieber Papa, ich habe mich heute gefragt, warum du Soldat geworden bist. Bitte antworte."
Veröffentlicht in DER SPIEGEL 44/2011
Der SPIEGEL-Redakteur Wolfgang Reuter wurde vom "medium magazin" zum Reporter des Jahres 2012 gekürt. In der Begründung der Jury heisst es: "Reuter war 2012 einer der ganz wenigen Journalisten, die über Monate unter schwierigsten Bedingungen aus Syrien und einer Region im Umsturz berichtet haben. Aus Sicherheitsgründen erschienen viele seiner Reportagen aus Syrien anonym. Seine Berichterstattung über das Massaker in Hula, ohne Rücksicht auf eigene Gefährdung, warf ein grelles Schlaglicht auf ein Verbrechen, das ohne seine Berichte der internationalen Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben wäre. Das allein schon verdient hohen Respekt."
Es war noch heller Tag
Rekonstruktion eines Massakers: Überlebende und Augenzeugen berichten, was sich am Abend des 25. Mai in der syrischen Gemeinde Hula zutrug.
Ihnen werde schon nichts geschehen, beruhigte der pensionierte Polizeioffizier Muawija al-Sajjid am Nachmittag des 25. Mai seine Familie, die nicht wagte, ihr Haus zu verlassen. Er sei schließlich Oberst gewesen, und bislang seien sie bei Razzien der Regimetruppen stets unbehelligt geblieben.
Eine tödliche Fehleinschätzung, wie Oberst Sajjid in den letzten Minuten seines Lebens erkennen musste. Denn nach den Aussagen seiner überlebenden Frau und Tochter hörte er da von seinem Zimmer im ersten Stock aus, wie sich die Mörder vor dem Haus verabredeten, dass sie sich erst die Frauen holen und anschließend alle umbringen würden. Er schickte die Frauen und Kinder zur Flucht. "Ich werde versuchen, sie aufzuhalten." Was ihm um den Preis seines Lebens gelang.
Das Massaker von Hula, bei dem nach
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