SPIEGEL E-Book: Deutschland, Deine Reichen: Wer sind sie - und warum so viele? (German Edition)
heute. In Wahrheit ließen viele seiner Parteikollegen auch deshalb die Finger von Reichensteuern, weil damit paradoxerweise die Armen weiter gefährdet worden wären. Denn die Drohung der Eliten kam reflexhaft: Dann müssen wir unsere letzten Fabriken und die Firmenzentralen gleich mit ins Ausland verlagern.
Struck erinnert sich, wie der Künzelsauer Schraubenmilliardär Reinhold Würth das komplette rot-grüne Kabinett in sein Gästehaus auf Schwanenwerder einlud, ein Inselchen im Südosten Berlins und einer der teuersten Flecken der Hauptstadt. An den Wänden hingen Werke von Baselitz, Lüpertz, Kiefer. "Wir waren wegen der Kunst da", sagt Struck, "aber natürlich wurde auch über die Steuerreform geredet."
Ein paar Jahre später wurde Würth wegen Steuerhinterziehung verurteilt, was ihn noch heute schimpfen lässt, weil er sich verraten fühlt als Unternehmer, Arbeitsplatzbeschaffer, Weltmarktführer, Kunstmäzen, was auch immer.
Verraten fühlen sich aber auch andere: 15,6 Prozent der Bevölkerung gelten mittlerweile als armutsgefährdet, das sind über zwölf Millionen Menschen. Armutsgefährdet ist nach einer klassischen Definition, wer weniger als 60 Prozent des gewichteten, mittleren Einkommens verdient.
Eine vierköpfige Familie rutscht demnach ins Armutsrisiko, wenn sie weniger als 1735 Euro monatlich verdient. Es ist eine Summe, mit der man in Rumänien noch zur Elite zählen würde und in weiten Teilen Afrikas das Zeug zum Stammesfürsten hätte.
Armut ist also eine Sache der Relationen, Reichtum aber auch.
Eine Million Euro, die Günther Jauch verquizt, sollten heute niemanden mehr dazu verleiten, den Job hinzuschmeißen. Fünf Millionen werfen immerhin genug Zinsen ab, um davon einigermaßen sorglos das Leben genießen zu können.
Insofern ist der 22-jährige Student Pius Heinz, der Ende 2011 beim Pokern in Las Vegas 8,7 Millionen Dollar gewann, schon einigermaßen aus dem Schneider. Das gilt erst recht für Stefan Raab, Günther Jauch oder Dieter Bohlen, von denen jeder über die Jahre einen dreistelligen Millionenbetrag verdient haben dürfte.
Auch Heiko Hubertz hat Kasse gemacht. Er ist Gründer der Firma Bigpoint, die Online-Spiele produziert. Nach dem Verkauf von 70 Prozent seiner Firmenanteile besitzt er heute einen dreistelligen Millionenbetrag. Und nun?
Eine Zeitlang lebte Hubertz in den USA, jetzt sitzt er wieder in Hamburg, in einem großen Apartment an der Alster. Etwa alle zwei Tage überschlägt er, wie viel Geld er noch hat. "Ich rechne mir dann aus, wie viel ich täglich zur Verfügung hätte, wenn von nun an nichts mehr dazukäme."
Hubertz geht von einer Lebenserwartung von 85 Jahren aus. Er rechnet gern. Und ihn treibt die Angst um, sein Vermögen wieder zu verlieren.
Vor ein paar Jahren ging es Bigpoint nicht so gut, ein paar neue Spiele floppten. "Als meine Freundin damals ohne Einkaufstüte losgegangen ist und im Supermarkt eine kaufte, habe ich eine Diskussion mit ihr darüber angefangen." Er hielt die Extratasche schlicht für Verschwendung.
Als nun der SPIEGEL anfragte, riet sie ihm davon ab, anderen von seinem Geld zu erzählen. Sie mag es nicht, wenn er in die Öffentlichkeit geht. Und sie ahnt, dass die Verteilung von Reichtum und Armut in einer Gesellschaft auch eine Sache gefühlter Gerechtigkeit ist.
Ist es fair, dass manche Altenpflegerin nur 1753 Euro brutto im Monat bekommt, während Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann dafür nicht einmal eine Stunde arbeiten muss? Oder ist es okay, dass IG-Metall-Boss Berthold Huber 21 750 Euro brutto monatlich erhält, die Kanzlerin aber nur 15 832,79 Euro? Wenn man Huber dann als mächtigsten Gewerkschaftschef der Republik mit VW-Vorstandschef Martin Winterkorn (9,3 Millionen Euro im Jahr 2010) vergleicht, wirkt er wiederum wie ein Transferleistungsempfänger.
Doch ist Armut moralisch a priori wertvoller als Vermögen? Es ist schwer zu sagen, wo die Bewunderung über das Luxusleben der anderen endet und der Ärger über das beginnt, was eine Gesellschaft eben nicht mehr verkraftet an Gagen-, Boni- oder Gratifikationsexzessen. Aber die Schwelle hat sich in den vergangenen Jahren verschoben. Wobei der Stimmungswandel "oben" durchaus bemerkt worden ist.
"Wenn in Umfragen rund die Hälfte der Bundesbürger am System der sozialen Marktwirtschaft zweifelt, dann ist das ein Zeichen, das wir nicht unterschätzen dürfen", sagt René Obermann, als Telekom-Chef selbst einer der Top-Verdiener. Die Öffentlichkeit
Weitere Kostenlose Bücher