SPIEGEL E-Book: Deutschland, Deine Reichen: Wer sind sie - und warum so viele? (German Edition)
ist sensibler geworden, kritischer, misstrauischer.
Und die Verteilungskämpfe dürften sich noch verschärfen. Sollen die Reichen also mehr bezahlen? Über Steuern? Stiftungen? Schenkungen? Wären sie überhaupt bereit dazu?
Jenseits der Fünf-Millionen-Schallmauer enden schließlich manche Sorgen endgültig. Andere allerdings beginnen dort überhaupt erst.
Als der SPIEGEL vor 45 Jahren eine Serie veröffentlichte über "Die Reichen in Deutschland", war hiesiges Vermögen noch übersichtlich organisiert. Die Wirtschaftswunder-Clans der Krupps, Neckermanns oder Grundigs zitterten allenfalls vor Kommunisten oder Betriebsräten, was vielen damals als identisch galt.
Heute ist die Welt ein wenig linker und grüner geworden, aber dank Internet und globalem Datenaustausch auch transparenter, und die Vermögenden müssen Widerstand und Kritik von viel mehr Seiten fürchten: miese Presse, unzufriedene Aktionäre, böses Finanzamt, gierige Politik von CDU bis zu den Grünen, falsche Freunde, echte Kriminelle, Steuerfahnder oder einfach nur den Zeitgeist.
Kein Wunder, dass drum herum mittlerweile eine komplette Angst-Industrie entstanden ist aus Krisen- und Vermögensberatern, Security-Fachleuten, PR-Schattenmännern und Juristen, die vor allem das Ziel haben, die vermögende Klientel vor Attacken aller Art zu schützen. So wird Paranoia zugleich geschürt und bekämpft.
"Geld baut Gräben zwischen mir und meinen Freunden", schrieb die Bestsellerautorin und Neureiche Charlotte Roche in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Es sei "wie eine perverse, hochsüchtig machende Droge. Alle wollen es haben, aber wenn man es hat, gehen die Probleme erst los".
Das weiß auch Thomas Druyen. Er gilt als einer der renommiertesten Vermögensforscher Europas, was nicht sonderlich schwer ist, weil es davon nur eine Handvoll gibt.
Über Hartz-Gesetze, Sozialhilfeproblematik oder Armut als solche gibt es komplette Bibliotheken. Extremer Reichtum dagegen wird nur von ein paar Leuten wie ihm erforscht. Vor rund fünf Jahren gründete Druyen einen Lehrstuhl für Vermögensforschung an der privaten Sigmund-Freud-Universität in Wien. Der 54-Jährige ist obendrein mit Udo Jürgens' Tochter Jenny verheiratet und lebt im Düsseldorfer Zweit- bis Drittwagenparadies Grafenberg zwischen Golfplätzen und einer Galopprennbahn.
Im Wohnzimmer seines Penthouse steht die lebensgroße Skulptur eines knallroten Schweins. Der Hausherr versichert: "Ich würde sagen, ich habe durchaus Empathie für einige Vermögende entwickelt, ohne dabei erblindet zu sein." Aber natürlich müsse er auch "vorsichtig sein. Ein falscher Satz in den Medien oder ein Missverständnis, das kann viel kaputtmachen. Dann redet keiner mehr mit mir".
Als Druyen vor gut zehn Jahren begann, sich fürs große Geld zu interessieren, redete auch niemand mit ihm. Mittlerweile hat er angeblich weltweit 60 Milliardäre interviewt und viele Dutzend Multimillionäre. Die Namen hält er derart geheim, dass nicht mal seine Hilfskräfte eingeweiht werden, die später die Fragebögen auswerten. Thomas Druyen blickt auf ein weites und weitgehend unerforschtes Terrain: "Dabei ist es gesellschaftlich von großer Bedeutung, was die Reichen mit ihrem Geld machen und inwiefern sie Einfluss nehmen."
Die verrückteste Geschichte hat ihm ein Amerikaner erzählt, der sich mehrmals mit dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin traf, weil er Sibirien kaufen wollte. "Das war kein Witz", versichert Druyen. Menschen, die so viel Geld besitzen und darüber auch noch mit den Kreml-Spitzen sprechen können, leben meist extrem abgeschottet.
Bei den Deutschen komme – so paradox das klingt – die Angst dazu, wegen des Geldes gesellschaftlich geächtet zu werden. Druyen kennt einen Multimillionär, der hierzulande in einer bescheidenen Dreizimmerwohnung lebt, in London aber eine Zweitexistenz mit teuren Autos und exklusiven Partys pflegt.
Man kann Druyens bisherige Forschungen auf einen simplen Nenner bringen: Je weniger jemand hat, desto deutlicher lässt er es raushängen. "Selbstdarsteller erlebe ich vorwiegend unter Reichen mit einem Vermögen im einstelligen Millionenbereich." Der Keramik-Buddha auf Druyens Kaminsims lächelt wissend.
Wer an dieser Stelle den Versuch einer ersten Typologie deutschen Wohlstands versuchen möchte, kommt um diese Selbstdarsteller indes gar nicht herum. Das öffentliche Reichen-Bild wird von gleich drei Prototypen bestimmt, die extremer kaum sein
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