Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
Beispiel.«
    »Der wächst hier nicht«, sagte ich.
    Das Moped knatterte über den Asphalt, als wir in unsere Straße einbogen. Ich schaute auf die Uhr. Von dreizehn bis fünfzehn Uhr durfte man bei uns keinen Lärm machen, weil man sonst sofort verklagt wurde. Jetzt hatten wir 14:43. Ksü hatte offenbar noch nie etwas davon gehört und ich wollte sie nicht bitten, ein bisschen Rücksicht zu nehmen.
    Ich war schweißgebadet, als wir endlich ankamen. Ich öffnete das Tor, damit Ksü ihr Moped in die Auffahrt schieben konnte.
    »Ist denn jemand da?«, fragte Ksü.
    »Meine Großeltern«, sagte ich mit einem Seufzer.
    »Stimmt ja.« Sie schaute mich voller Mitgefühl an. »Mach dir keine Sorgen, deine Mutter kommt bald zurück!«
    Ich zuckte mit den Schultern, drückte auf die Klingel und strich mit feuchten Händen meine vom Wind zerzausten Haare glatt. Meine Großmutter öffnete die Tür, guckte raus, das Gesicht skeptisch.
    »Da bist du endlich«, sagte sie. Die Tür war gerade mal einen Spalt weit geöffnet.
    »Wir haben Besuch«, sagte ich laut. »Meine Freundin Ksenia.«
    Ksü drängte sich hinter mich in den Flur und grinste ihr breitestes Grinsen. »Hallo, freut mich sehr«, sagte sie. »Ich bin vielleicht blöd, habe gar nichts mitgebracht. Platze hier einfach mit leeren Händen rein.«
    Meiner Großmutter fiel die Kinnlade runter.
    Es war überdeutlich, dass sie jemanden wie Ksü niemals vor das Tor gelassen hätte, geschweige denn ins Haus. Auf der Straße hätte sie sofort die Seite gewechselt. Ksü verkörperte alles, wovor meine Großeltern mich immer gewarnt hatten.
    Ksü warf einen Blick auf die Fliesen und zog schnell ihre hohen schwarzen Lederstiefel aus.
    Ingrid klappte den Mund zu, drehte sich um und ging in die Küche.
    Ich sah Ksü an und formte eine stumme Entschuldigung mit den Lippen. Ksü winkte ab, als würde es ihr nichts ausmachen, aber ich hatte das Gefühl, dass es sie ziemlich getroffen hatte. Ich hatte sie Ingrid ganz bewusst vor die Nase gesetzt, um meine Großmutter zu ärgern, mir aber überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, wie es sich für Ksü anfühlen würde.
    Ich hoffte ein bisschen, dass sie es vielleicht gewohnt war, so unfreundlich behandelt zu werden, und sich deswegen längst eine dicke Haut zugelegt hatte.
    Ich steckte den Kopf zur Küchentür rein, als wäre nichts gewesen. »Gibt es was zu essen, Ingrid?«
    Meine Großmutter verschränkte abwehrend ihre Arme über der Brust.
    »Wir haben Hunger«, sagte ich mit Kassies Stimme.
    »Dein Großvater und ich haben um halb eins gegessen, wie immer«, sagte Ingrid abweisend.
    »Wir ja auch, wir ja auch«, sagte ich. »Haben jetzt trotzdem Hunger.«
    Ksü zog mich von hinten an der Kapuze.
    »Lass es«, flüsterte sie. »Warum soll sie uns jetzt bedienen? Wir brauchen doch nichts. Oder wir machen es einfach selber.«
    Wahrscheinlich hatte Ingrid das gehört. Und das wollte sie nun auf keinen Fall zulassen. Sie kaute ein bisschen an ihrer Unterlippe herum und öffnete schließlich den Kühlschrank.
    Als wir endlich vor meiner Zimmertür standen, wirkte Ksü deprimiert. Sie hatte die Blicke meiner Großmutter mit unerschütterlicher Freundlichkeit überstanden. Ich vermutete, dass Ingrid jetzt enttäuscht war: Ksü hatte, bei näherer Betrachtung, keine schmutzigen Fingernägel vorzuweisen, stellte ihre Ellbogen nicht auf den Tisch, kurzum, sie benahm sich ganz anders, als Ingrid es erwartet hatte. Doch ausgerechnet das stimmte meine Großmutter nur noch feindseliger.
    »Tut mir leid«, sagte ich, als wir endlich allein waren. »Sie ist eben … einfach schrecklich.«
    »Sie kann halt nicht anders«, sagte Ksü leise.
    »Sind viele doof zu dir, so wie du aussiehst?«
    »Nee, wieso?«
    Ich wurde rot.
    »Du meinst wegen der Schlange? Klar, die meisten kriegen erst mal einen Schreck. Aber eigentlich geht es. Viele finden mich unheimlich und lassen mich deswegen in Ruhe.«
    Jetzt war der Moment wieder gekommen, in dem ich es noch mal versuchen wollte.
    »Sie denken eben, du bist ein Freak«, sagte ich.
    Ksü warf mir einen langen Blick zu. Ihre Schlange ließ den Schwanz hängen.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Weil ich so aussehe, denkt deine Großmutter, ich fasse ihr feinstes Porzellan mit dreckigen Händen an, verführe ihren Mann und klaue ihm dann zum Dank noch die Brieftasche. Sie muss sehr enttäuscht sein, dass ich ihre Erwartungen nicht erfülle.«
    Ich biss mir auf die Unterlippe, weil ich mich plötzlich schämte, und

Weitere Kostenlose Bücher