Spiegelkind (German Edition)
Ahnung.«
»Schade.« Ksü wandte sich wieder den Quadren zu. »Ich dachte, du hättest die Gabe vielleicht geerbt.«
»Nein, sicher nicht.«
»Kannst du heilen?«
»Heilen?« Ich sah auf. »Wie meinst du das?«
»Na, Kranke gesund machen. Pheen können das.«
»Du meinst, sie sind Scharlatane?«
»Wie soll die offizielle Medizin sie auch sonst nennen?«
»Sind ja interessante Einblicke«, sagte ich. »Heilen kann ich auch nicht.«
»Kannst du sehen?«
»Sehen?«, wiederholte ich. Ksü war offensichtlich viel zu lange im Atelier gewesen. »Na klar. Ich kann zum Beispiel dich sehen.«
»Nicht so.« Ksü lächelte. »Kannst du sehen, was für andere unsichtbar ist?«
»Ich kann eher Dinge übersehen, die für alle anderen offensichtlich sind«, sagte ich frustriert. »Übrigens bin ich als Kind sogar an den Augen operiert worden, weil ich so kurzsichtig war.«
»Achte trotzdem mal darauf. Vielleicht siehst du ja was, was nur du sehen kannst. Wenn du dich dagegen sperrst, ist es schwieriger. Da können sich die Gaben nicht entfalten.«
»Du kennst dich aber plötzlich sehr gut aus«, sagte ich misstrauisch. Wieder spürte ich Wut in mir aufsteigen, noch leise und luftig, wie Schaumbläschen auf einer Welle, von der niemand sagen konnte, wie gefährlich sie werden würde.
Ksüs schuldbewusstes Gesicht machte es nur schlimmer.
»Ich tappe hier im Dunkeln, suche meine Mutter, stelle blöde Fragen – und du weißt eigentlich längst bestens Bescheid über Pheen und erzählst mir nichts davon?« Meine Stimme war so kalt, dass ich selber anfing zu frösteln.
»Juli …« Ksü schaute mich flehend an.
»So ist es immer!« Die Welle hatte mein Herz erreicht und schwappte weiter in Richtung Kopf. »Wenn es drauf ankommt, ist man allein, weil alle einen anlügen. Selbst du.«
Ich drehte mich von ihr weg.
»Nein, nein«, Ksü zupfte mich am Ärmel. »Ich … ich war die ganze Nacht im Netz mit Mister Cortex. Ich bin auf ziemlich viel gestoßen. Du weißt vielleicht noch gar nicht, dass manche Pheen als Heilerinnen oder Wahrsagerinnen praktizieren, um in der Normalität überleben zu können. Und ich habe meinen Bruder gefragt.«
»Der weiß sicher auch alles und würde es auf keinen Fall verraten«, spuckte ich aus. »Er findet es bestimmt saukomisch, wie hilflos und dumm ich mich verhalte!«
»Lass ihn aus dem Spiel«, sagte Ksü. »Ich kann nur für mich sprechen. Und ich wusste wirklich nicht, wie ich dir das alles sagen sollte. Natürlich hab ich eine Menge über Pheen gehört. Wer hat das nicht? Aber es ist so schwer, Legenden von der historischen Wahrheit und wissenschaftlichen Fakten zu trennen. Und du weißt tatsächlich«, sie räusperte sich, »du weißt tatsächlich so wenig. Hätte ich dich mit den schmutzigsten Gerüchten konfrontieren sollen, wo es dir schon so schlecht geht?«
»Warum nicht?« Ich drehte mich wieder zu ihr. Spürte, dass meine Gesichtsmuskeln verzerrt waren. »Es ist immer noch besser, als GAR NICHTS über die eigene Mutter zu wissen.«
»Das kannst du nicht von mir verlangen«, sagte Ksü ruhig. »Ich werde diesen Mist nicht weitertragen. Ich habe vielmehr die ganze Zeit nach etwas gesucht, was dir helfen kann.«
»Wie rührend von dir! Und, was gefunden?«
»Nein, Juli«, sagte Ksü und zum ersten Mal, seit ich sie kannte, klang sie wirklich wütend. »Sonst hätte ich dir davon erzählt.« Ihr scharfer Tonfall brachte mich zur Besinnung. Die Welle begann, sich zurückzuziehen.
»Dann erzähl mir etwas über die Pheen. Irgendwas! Auch wenn es schlimm ist. Bitte!«
»Okay.« Ksü seufzte. »Wo soll ich anfangen? Es gibt ein staatliches Institut zur Pheenforschung, das die Warnungen herausgibt, auf die wir gestoßen sind. Es ist total unwissenschaftlich, aber das Netz ist voll damit. Schlimmer noch, sie verbreiten es auch überall sonst. Sogar jedes dritte Kinderbuch ist eine Warnung vor den gefährlichen Pheen!«
»Wirklich? Ich habe so was noch nie gesehen.«
»Dann hat dich deine Mutter sehr gut davor beschützt«, sagte Ksü.
»Und was habe ich jetzt davon?«
»Versteh doch endlich: Sie hatte einfach keine Wahl. Dich als Kind mit der Wahrheit zu konfrontieren, hätte bedeutet, dich zu zerstören!«
»Einem die Augen zu verbinden und die Ohren zuzuhalten, ist dagegen eine richtig geniale Alterna -«
Ich brach mitten im Wort ab und lauschte.
Da war ein Geräusch. Ich war es gewöhnt, alles, was ich hörte, für mich zu behalten – für den Fall, dass es niemand
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