Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
gekämpft hatte, leicht und geschmeidig in meinen Fingern und die Tür gab lautlos nach. Ich setzte meinen Fuß über die Schwelle, gefolgt von Ksü, die ihre Augen mit den Händen bedeckte, als würde sie gerade nicht das Halbdunkel eines Dachbodens mit Schrägwänden betreten, sondern direkt auf die Sonne zurennen.
    Das Kind schaut mir entgegen. Es ist noch keine zwei Jahre alt, hat verwuscheltes Haar und dreckige Füße. Es trägt eine breite Latzhose, der Oberkörper ist nackt bis auf den dicken grauen Verband, der sich um seine Brust schlingt. Es kommt mir gleichzeitig sehr fremd und sehr vertraut vor.

Die Katze
    Ich hatte, muss ich gestehen, etwas mehr erwartet. Nach allem, was ich inzwischen gehört hatte, ging ich davon aus, sofort von einem Zauber berührt zu werden, den ich bislang wegen akuter Blödheit nicht hatte spüren können. Aber nichts passierte. Es war immer noch das Atelier meiner Mutter, nicht mehr und nicht weniger. Ich war hier tausendmal gewesen und fand nichts daran faszinierend. Bloß mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als der mir so vertraute Duft in die Nase stieg, von Farbe und Lösungsmitteln, gemischt mit einem zarten Fliederaroma und einer Note Kaffee.
    »Mama«, flüsterte ich.
    Ksü hatte keine Augen für mich, das war ganz gut so. Sie kniete vor einem großen Quadrum, das, soviel ich wusste, schon länger da stand. Auf dem Quadrum war ein Wald, so ähnlich wie der Wald in meinem Zimmer. Bloß das Haus fehlte. Hohe Bäume, wogendes Gras, in dem irgendwann etwas kleines Blaues blühte. An einer Stelle fiel das Gras ganz leicht auseinander, hier war jemand durchgegangen. Ich hörte ein leises Rauschen, fragte Ksü aber lieber nicht, ob sie es auch wahrnahm.
    Ksü richtete sich auf und wischte sich über das Gesicht.
    »Was ist?«, fragte ich.
    »Nichts.« Ksü drehte mir ihren Hinterkopf zu, sodass mein neugieriger Blick am Körper der Schlange abprallte.
    »Heulst du etwa?«, fragte ich.
    »Nein.«
    »Aber ich sehe es doch. Wieso heulst du jetzt plötzlich?«
    »Ich weiß nicht.« Ksü holte eine zusammengeknüllte Papierserviette aus ihrer Tasche und putzte sich die Nase. »Es zieht irgendwie hier.« Sie legte ihre rechte Hand auf die linke Brust. »Ivan sagt, das Leben unserer Familie ist eng verknüpft mit Lauras Kunst, aber er erklärt nie, was er damit genau meint. Es ist ein Gefühl, als hätte ich etwas verloren.«
    Ich schaute sie nur stumm an. Die Vorstellung, dass Ksü etwas Wichtiges verloren haben könnte, erstaunte mich. Sie wirkte immer so, als würde sie nichts umwerfen können. Alles schien an ihr abzuprallen. Bis sie das Atelier meiner Mutter betreten hatte. Jetzt stand sie da wie ein Häufchen Elend und zum ersten Mal wurde mir klar, dass ich eigentlich nichts über sie wusste.
    »Tut dir irgendwas weh?«, fragte ich unbeholfen. Ich hatte keine Ahnung, wie man solche Fragen stellte, ob man sie überhaupt stellen durfte. Wenn irgendwas nicht in Ordnung war, war es höflicher wegzusehen – das war der normale Umgang. Aber jetzt sah ich direkt in Ksüs verzerrtes Gesicht.
    »Kann ich irgendwas für dich tun?«
    Sie schien mich nicht zu hören.
    Ich streckte vorsichtig den Arm aus, legte die Hand auf Ksüs Schulter. So machte man das in alten Filmen in den etwas peinlichen Momenten, in denen ich immer verlegen weggeschaut hatte. Aber jetzt kam es mir irgendwie passend vor.
    »Ksü, kannst du mich hören? Was tut dir weh? Soll ich dir ein Glas Wasser bringen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ist wieder gut. Es zieht einfach nur.«
    »Vielleicht sollten wir rausgehen.«
    »Nein«, sagte Ksü. »Noch nicht.«
    Ich nahm meine Hand von ihrer Schulter. Sie rieb sich die Augen und sah sich um.
    Es waren nicht sehr viele Quadren hier oben, etwa sieben große, eins davon noch auf der Staffelei, und einige kleine, aufgereiht entlang der Fußleiste.
    »Guck mal«, sagte ich. »Da auf der Staffelei ist ihr letztes Quadrum, ich meine« – das Wort letztes verursachte ein dumpfes Echo in meiner Brust, »ich meine, das bis jetzt letzte Quadrum, an dem sie gearbeitet hat, bevor sie …«
    Ksü stand bereits davor.
    »Wieder dieser Wald«, sagte ich, »ihr Lieblingsthema. Ziemlich ähnlich wie die anderen Quadren auch. Ehrlich gesagt, ist das alles nicht sehr abwechslungsreich.«
    Ksü fuhr plötzlich herum. »Kannst du eigentlich malen?«
    »Ich?« Ich schaute nachdenklich auf die aufgereihten Quadren. »Ich glaube, nicht. Hab es noch nie probiert. Keine

Weitere Kostenlose Bücher