Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
Ihre linke Hand wurde kurz berührt, dann hörte sie das Klicken der sich öffnenden Handschellen. Fast hätte sie erleichtert aufgeatmet, aber das durfte sie noch nicht, denn es hätte sie verraten. Nichts durfte ihre eigene Angst erkennbar machen. Mit einem Ruck drehte sie sich herum und hielt erwartungsvoll die Hand auf. Der Schotte, der ihr gegenüber stand, sah zu Boden und übergab ihr die Handschellen. Umgehend benutzte sie diese, um den Schotten zu fesseln. Der andere Mann hätte tausendmal die Möglichkeit gehabt, sich eine der Pistolen vom Boden zu nehmen und Sam zu erschießen, aber er war ganz offensichtlich fertig und zu keiner Handlung in der Lage.
„Ihr habt doch noch mehr Fesseln hier, oder?“, wandte Sam sich an Leatherman. „Wenn ich undercover bin, kann ich leider keine eigene Ausrüstung mitnehmen.“
„Unten“, sagte er nur und deutete mit dem Kopf zu der Tür, durch die sie gekommen waren.
Sam bückte sich und nahm Sorghardts Pistole auf. Dabei hatte sie ein unangenehmes Gefühl, denn im Rücken wusste sie die Frau mit dem Gewehr. Hoffentlich drehte die nicht durch. Trotz der gebotenen Eile machte Sam zwar schnelle, aber keine hektischen Bewegungen. Noch musste sie die coole, selbstsichere Agentin spielen. Jetzt wandte sie sich zu der Frau, die noch immer zitternd hinter dem Tresen stand.
„Geben Sie mir das Gewehr.“ Die Frau rührte sich nicht. „Machen Sie schon“, drängte Sam und richtete die Pistole auf die ältere Dame, die dadurch nur zu noch stärkerem Zittern angeregt wurde.
Nun begriff Sam. Die Rezeptionistin stand unter Schock. Egal. Sam beugte sich über die Theke und nahm die Waffe an sich. Was sollte sie nur mit den ganzen Waffen tun?
Auf dem Boden lagen noch zwei Pistolen, die konnte sie unmöglich einfach liegen lassen. Irgendwann würde Marias Mann kommen, und bis dahin musste sie hier alles geklärt haben.
Ihr fiel ein, dass sie ganz sicher Hilfe brauchen würde. Sie lehnte das Gewehr gegen die Wand, behielt den Lauf der Pistole auf Leatherman gerichtet, und angelte mit der linken Hand nach ihrem Handy. Hoffentlich war Gregor erreichbar. Nachdem sie gewählt hatte, musste sie lange warten, aber immerhin ging nicht sofort die Mailbox dran. Das war ein gutes Zeichen. Erst nach dem achten Freiton hob er ab und meldete sich: „Kern.“
„Hallo Gregor, bin ich froh, dich zu erreichen. Bitte unterbrich mich nicht“, begann sie. „Ich habe die Mörder von Deborah, zumindest einen Teil davon, und halte sie in Schach. Es werden aber voraussichtlich sehr bald noch Freunde von ihnen kommen, deshalb brauche ich so schnell wie möglich Verstärkung. Momentan habe ich vier Personen hier, von denen eine zumindest ohnmächtig, vielleicht sogar tot ist. Wir sind in der Pension, in der damals wegen der Toten vom Busunglück nachgefragt wurde, direkt an der B455 zwischen Vockenhausen und Niedernhausen.“
„Ich schicke sofort jemanden hin“, sagte Gregor. „Ich bleibe wieder am Telefon, bis die Kollegen bei dir sind.“
„Vergiss es, ich habe hier noch zu viel zu regeln. Ich weiß ja, dass ihr gleich kommt. Und Gregor …“
„Ja?“
„Du brauchst deinem Vorgesetzten nicht Bescheid zu sagen, er ist hier.“
„Dann hast du ja Unterstützung!“ Gregors Stimme klang erleichtert.
„Nicht wirklich“, sagte Sam, wollte aber keine langen Erklärungen abgeben. „Bis nachher“, sagte sie und unterbrach die Verbindung.
Sam sah sich um. An einer Wand hing ein alter Heizkörper. Der war perfekt. Sie holte die beiden Männer dort hin, öffnete die Handschellen noch einmal, zog die Kette hinter dem Heizungsrohr durch und schloss dann Leathermans rechte Hand ebenso wie die linke des Schotten in die Schellen. Nun waren sie gemeinsam an die Heizung gekettet. Als nächstes sollte sie das kleine Waffenarsenal sichern.
„Wie viele Leute sind noch im Haus?“ Sie wandte sich bewusst an den schwächeren Leatherman.
„Im Moment nur noch eine Sklavin. Sie ist im Keller. Die Gäste kommen erst gegen Abend.“
‚Die Gäste …‘, dachte Sam. Sie musterte die Rezeptionistin. Es war ein kalkuliertes Risiko, sie für einen Moment unbeobachtet zu lassen. Zunächst holte sie aus der Tasche des am Boden liegenden Polizisten die Fahrzeugschlüssel. Dann sammelte sie die Pistolen ein. Um noch eine Hand für das Gewehr frei zu haben, hielt sie alle in ihrer rechten. So konnte sie natürlich nicht mehr schießen, aber momentan sah sie keine Bedrohung. Nachdem sie das Gewehr wieder
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