Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
das Rad und tastete den Reifen ab. So sehr sie sich auch bemühte, in den dunklen Winkeln des Radkastens konnte sie nichts mehr erkennen. Die bereits hereingebrochene Dämmerung ließ kein Licht mehr in die Zwischenräume fallen. Im oberen Bereich erfühlten ihre Finger einen Widerstand auf der Lauffläche, den sie aber nicht einzuordnen wusste. Sie würde die Stelle weiter nach unten drehen müssen. Als sie die Hand hervor zog, erkannte sie, dass ihre Finger ganz schwarz geworden waren. Sie seufzte, stand auf und drehte sich herum.
Dann ging alles sehr schnell. Noch bevor ihr Herz es sich überlegt hatte, ob es vor Schreck stehen bleiben sollte oder nicht, reagierten ihre antrainierten Reflexe. Ihr Bewusstsein hatte es noch nicht endgültig verarbeitet, dass sich hinter ihr ein Berg von einem Mann aufgebaut hatte, als ihr Unterbewusstsein bereits ihre Handlungen steuerte. Woher dieser Mann plötzlich gekommen war, wusste Sam nicht. Sie hatte vorher keine Schritte gehört. Offenbar waren diese im Straßenlärm untergegangen. Er stand nun so dicht vor ihr, dass sie ihn beim Umdrehen fast berührt hatte.
Als ihre linke Hand seinen Hals ergriff und sich um seinen Kehlkopf schloss, warf er entsetzt die Arme in die Luft. Seine Augen spiegelten Panik wieder, und aus seinem Mund drang ein gurgelndes Geräusch. Sam hatte vielleicht etwas zu fest zugepackt. ‚Was soll's‘, dachte sie. ‚Wenn du als erster zuschlägst, kann dich keiner verletzen.‘
Der Schreck hatte ihren Herzschlag beschleunigt. Zwar war sie sich ihrer Fähigkeiten sehr bewusst, aber vor Angst war sie deshalb noch lange nicht gefeit. Ihr war durchaus klar, dass man auch sie überrumpeln konnte. Außerdem gab es immer irgendwo einen Besseren, und ein derart riesiger Mann, den sie auf über zwei Meter schätzte, konnte ihr durchaus Probleme bereiten, zumal der Kerl die Breite eines Gewichthebers hatte.
„Ich lasse dich jetzt los. Wenn ich auch nur den geringsten Eindruck habe, dass du irgendwas versuchst, mache ich dich fertig.“ In ihrer Stimme war nicht zu hören, dass sie innerlich angespannt und voller Unruhe war. Wenn er sie richtig zu fassen bekam, hätte sie im schlimmsten Fall trotz all ihrer Techniken keine Chance mehr. Auf der anderen Seite schien das blanke Entsetzen in seinen Augen nicht gespielt. Er würde es sich zweimal überlegen.
Bevor sie langsam die Hand von seinem Hals nahm, stellte sie ihr rechtes Bein zwischen die seinen, um notfalls ihr Knie in seine Weichteile stoßen zu können. Er jappste nach Luft und griff mit den Händen an seinen Hals, so als ob er die Schmerzen und das unangenehme Gefühl irgendwie entfernen konnte. Dabei wich er einen Schritt zurück und hätte beinahe einen vorbeilaufenden Jungen umgestoßen. Der höchstens Zwölfjährige, wie Sam schätzte, wich gerade noch aus und beeilte sich wegzukommen. Als er sich in sicherer Entfernung wähnte, rief er: „Pass doch auf, du Penner!“
Die Detektivin entspannte sich langsam. Der Mann machte nicht den Eindruck, als würde er einen Angriff vorbereiten. Überhaupt war seine immense Größe das Einzige, was ihr bedrohlich erschien. Langsam kam er wieder zu Atem, und stieß hervor: „Sind Sie verrückt geworden? Wollen Sie mich umbringen?“
„Die Fragen stelle ich“, erwiderte Sam. „Was wolltest du von mir?“
„Guter Gott, ich wollte fragen, ob ich helfen kann! Dass Sie einen Platten haben, ist ja nicht zu übersehen.“
„So nahe, wie du bei mir standest, sah es mir eher danach aus, dass du mich überfallen wolltest“, gab Sam nüchtern zurück.
„Ich wollte Ihnen über die Schulter schauen um zu sehen, ob Sie bereits ein Werkzeug angesetzt haben, um die Muttern zu lösen!“
Der Riese schien völlig aufgelöst zu sein. Die Züge in seinem vollbärtigen Gesicht waren sanft und weich. Irgendwie machte er auf Sam plötzlich den Eindruck eines kleinen Jungen. Wenn er wirklich ein brutaler Ganove war, der Frauen überfiel, dann konnte er verdammt gut spielen.
„Sicher?“, fragte Sam vorsichtig.
„Ganz sicher! Meinen Sie, Gott hätte jemanden wie mich geschickt, wenn er Sie hätte bestrafen wollen?“
Sie maß seine Gestalt mit Blicken, runzelte die Stirn, und antwortete kurz: „Ja.“
Die Stimme des Mannes normalisierte sich langsam wieder. „Sie sehen nur das Äußere, mein Kind“, sagte er in einem väterlichen Ton, „doch Gott weiß, welch sanftes Gemüt ich habe.“
Langsam entspannte sich Sam. „Sie sind Ihrem Gott sehr verbunden,
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