Spiel der Angst (German Edition)
verdutzt, dass sie erst gar nicht sprechen konnten.
»Meine Koffer!«, schrie Julia und rannte hinter dem Taxi her. Doch das war schon fast hinter dem nächsten Block verschwunden und fuhr rumpelnd über eine dunkelgelbe Ampel. Dann war es im Verkehrsgewühl nicht mehr zu sehen.
»Meine Koffer«, fluchte sie noch einmal »Dieser Mistkerl hat meine Koffer. Meine ganzen Sachen.« Sie schüttelte Emily. Was machen wir nun?«
»Wir könnten ja auf der Quittung –«, begann Emily.
»Haben wir eine?«, fiel Julia ihr ins Wort.
Emily machte ein dummes Gesicht. »Nein«, sagte sie leise.
»Dann können wir da schon mal gar nichts.«
»Hast du dir das Nummernschild gemerkt?«, fragte Emily.
Julia schüttelte den Kopf. »War kaum zu erkennen. Total dreckig. Außerdem ging das alles viel zu schnell.«
Emily seufzte. Dann schaute sie sich um. »Was machen wir nun?«
Ihr Handy klingelte.
Das musste Ryan sein.
»Hallo, Emily.« Die Stimme verwandelte ihr Blut innerhalb von Sekunden in Eiswasser. »Und sag Hallo zu Julia.« Emily stellte instinktiv das Handy auf laut. »Meine Exfreundin will ja irgendwie nichts mehr mit mir zu tun haben, aber man kann halt nicht immer gewinnen. Und schönmachen kann sie sich für mich auch nicht mehr. Dafür braucht sie ja ihre Koffer.«
Emily blickte sich panikerfüllt um. Der Kerl musste sie beobachtet haben. Schon die ganze Zeit. Er hatte gesehen, wie sie Julia vom Flughafen abgeholt hatte. Und er war vielleicht auch jetzt hier irgendwo? Und, natürlich, die Koffer! Das musste seine Idee gewesen sein. Irgendwie hatte er diesen Taxifahrer geschmiert, der die beiden mit seinem Gerede derartig abgelenkt hatte, dass sie das Gepäck im Kofferraum fast vergessen hätten.
Dann wurde sie wieder klar und nüchtern. Die beste Möglichkeit, die Koffer wiederzubekommen, war wahrscheinlich, das Rätsel zu lösen, was sicher kommen würde. Und dafür musste sie aufmerksam sein.
Sie gab Julia mit den Augen ein Zeichen, damit sie einen Block und einen Stift hervorzog. Alles, was dieser Psychopath von sich gab, war wichtig. Das wusste auch Julia. Befolgte man nicht, was er sagte, konnte es immer sein, dass jemand sterben musste. Oder sogar man selbst.
»Du erinnerst dich an das Buch Daniel?«, fragte die Stimme.
Emily nickte. »Ja.«
»Dort ist das erste Mal von einem schrecklichen Ereignis die Rede«, sagte die verzerrte Stimme weiter. »Die Apokalypse. Der Weltuntergang.« Er machte eine Pause. »Nun, ihr habt die Apokalypse schon gesehen. Wisst ihr noch, wo?«
In Emilys Kopf arbeitete es fieberhaft. Eigentlich war diese ganze Jagd durch den Irren eine einzige Apokalypse. Dann fiel ihr aber das Eingangsportal in dieser großen Kirche ein, wo sie am Montag mit Ryan gewesen war. Wie hieß die Kirche noch, die, die einmal, wenn sie fertig wäre, die größte Kirche der Welt werden sollte?«
»St. John the Divine«, sagte Emily tonlos.
»Du hast die Apokalypse bereits gesehen. Auf dem ›großen Johannes‹, wie ich ihn genannt habe. Aber du hast recht, der richtige Name ist St. John the Divine. Jetzt hört gut zu.«
Emily vergaß zu atmen in den zwei Sekunden Pause, die der Sprecher machte, und Julia hatte Zettel und Stift in der Hand, als wäre sie ferngesteuert.
»Jetzt bildet die zweistellige Quersumme aus der Zeit dieses Ereignisses und geht mit dieser Nummer zu der Straße an der Stadtmauer. Dort werdet ihr weitere Informationen finden.«
Emilys Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte ausgestopft.
»Die Quersumme aus der Zeit, was soll das sein, was soll –«
»Alles, was ich sagen musste, habe ich gesagt. Und freut euch, wie gnädig ich heute bin. Ihr habt die Zeit, die ihr braucht. Bis ich sage, dass die Zeit vorbei ist.« Das waren die letzten Worte der Stimme. Die Verbindung endete.
Ihr habt die Zeit, die ihr braucht.
Kein Zeitdruck, wunderte sich Emily. Wirklich nicht?
Doch das war auch nicht besser. Vorher hatten sie einen klaren Zeitrahmen, der zwar immer unglaublich knapp war, aber sie wussten immerhin, woran sie waren. Jetzt hatten sie keine Kontrolle. Der Irre konnte, wann immer er wollte, einfach erklären, dass die Zeit vorbei wäre.
»Verdammter Mist«, sagte Emily. »Hast du alles aufgeschrieben?«
Julia nickte. »In der Tat Mist«, sagte sie. »Ich hätte ihm gerne die Meinung gegeigt. Dass wir diesen Psychopathen entweder in den schlimmsten Knast der USA stecken lassen oder gleich in die Todeszelle. Und wenn die hier das nicht machen, sorgen wir selbst
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