Spiel der Angst (German Edition)
sagten sie. Es ist uns eine Ehre, uns um dich zu kümmern. Und der Meister sagte: Nein, dies sagt ihr nur aus Mitleid, in Wahrheit bin ich euch doch schon viel zu lange zur Last gefallen.«
Er schaute Ryan erwartungsvoll an. Der drehte den Kopf zur Seite.
»Was sagten die Mitbrüder? Nein, sagten die Mitbrüder, das tust du nicht. Tu uns den Gefallen und bleibe mit deiner Weisheit noch wenigstens bis zum Sommer bei uns.«
Er sprach in einer anderen Stimme weiter: »Nein, sagte der Meister, ich werde mich jetzt zum Sterben hinlegen, denn meine Zeit ist gekommen und ihr müsst euren eigenen Weg gehen in eurer Zeit. Und dann«, er vollführte vor Ryan eine halbe Verbeugung, »dann kam das Killerargument: Aber Meister, sagten sie, wenn du jetzt stirbst und wir dich begraben wollen, müssen wir ein Loch in die steinharte, gefrorene Erde graben. Stirbst du aber erst im Frühling, ist die Beerdigung für uns viel einfacher.« Er lächelte ein kaltes Lächeln. »Da hatte der Meister ein Einsehen, und er verstarb im frühen Frühling des folgenden Jahres.«
Er stellte sich direkt vor Ryan.
»Weißt du, was das bedeutet?«
»Ich habe keine Ahnung!«, antwortete Ryan.
»Es gibt ein rationales Element im Tod.« Er zog etwas aus der Hosentasche. »Bleibst du nüchtern und rational, kannst du den Moment deines Todes bestimmen. Tust du es nicht, helfen andere vielleicht nach. Und wenn du zu viel mit den falschen Leuten herumhängst, dann passiert … das hier!«
Er zeigte Ryan das Foto.
Er hatte es über einige Kontakte bekommen.
Es zeigte die Leiche von Lisa in der Rechtsmedizin.
Und endlich sah er in Ryans Augen die Angst, die er sehen wollte.
58
TAG 8: SAMSTAG, 8. SEPTEMBER 2012
Sie war noch zu schwach.
Das hatten die Ärzte gesagt.
Darum hatten sie Emily eine weitere Nacht im Krankenhaus behalten.
Sie fühlte die Finger an ihrer Hand.
»Das ist für dich«, sagte eine Stimme. »Ich weiß, dass du noch Ruhe brauchst, aber trag diesen Ring, damit du weißt, dass wir immer für dich da sind.«
Sie öffnete langsam die Augen. Sah eine Gestalt. Die Gesten, die Figur, das Gesicht. Sie kannte diesen Menschen. Kannte ihn sehr gut.
Etwas war an ihrem linken Ringfinger. Etwas Silbernes. Es war wunderschön und glitzerte im Licht der Nachttischlampe.
»Ich habe mit den Ärzten gesprochen«, sagte die Stimme. »Sie sagen mir sofort Bescheid, wenn es dir besser geht. Und dann reden wir in Ruhe.«
Sie dachte nach, soweit sie das in ihrem vom Beruhigungsmittel gedämpften Zustand konnte.
Das ist … Das ist … Aber wieso ist er hier?
Sie öffnete die Augen noch weiter.
Und dann erkannte sie ihn vollständig.
Dad!
»Du wirst bald wieder gesund«, sagte er. Und dann verschwamm alles vor ihren Augen.
Ein wenig später wachte sie wieder auf.
Öffnete die Augen.
Hatte sie geträumt?
Da sah sie den Ring.
Den Ring an ihrer linken Hand, am Ringfinger. Mit einem wunderschönen Brillanten.
»Was ist das?«, fragte Emily verdutzt.
»Ein Ring«, antwortete Julia.
»Das sehe ich auch. Wo kommt der her? Ich dachte, ich hätte geträumt?«
»Nein, hast du nicht.« Julia grinste wieder. »Er war wirklich hier.«
»Mein Vater?«
Julia nickte. »Dein Vater. Ja, er war hier. Hatte ein wichtiges Meeting in New York, musste aber wieder zurück. Ich soll ihn sofort anrufen, wenn es dir wieder besser geht.«
Ihr Vater war hier gewesen. Schnell hin und dann wieder weg. Zuzutrauen war ihm das. Und dann hatte er ihr diesen Ring hiergelassen.
»Er sagte«, sprach Julia weiter, »er kommt sofort vorbei, wenn du entlassen wirst. Er hat mit den Ärzten geredet. Du sollst über die Sache hier nur mit ihm sprechen, nicht mit deiner Mutter, die würde komplett ausrasten. Er hat dir diesen Ring hiergelassen, wahrscheinlich weil er ein schlechtes Gewissen hatte, da er direkt wieder weg musste.«
Emily schaute auf den Brillantring. Schön war er allerdings.
Ihr Vater, der Ring, die Ereignisse der letzten Tage.
Langsam kamen die Erinnerungen wieder.
Sie hatte lange mit Julia überlegt, wie sehr sie die Polizei weiterhin einweihen sollten. Vielleicht könnten sie in einer gezielten Aktion Ryan befreien? Doch wäre es nicht auch möglich, dass Jonathan, der, genau wie damals in London, überall war, doch zu früh davon Wind bekommen würde und Ryan irgendetwas antun würde? Etwas Unverhofftes und Schreckliches?
So wie Lisa.
Die Tüte.
Fashion Shop.
Die Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf, wie Brandsiegel aus dem Reich der
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