Spiel der Angst (German Edition)
wie jeder Warteraum in einer Anwaltskanzlei, Beratung oder was auch immer das hier war.
Ihr Blick zog über den Raum, die Zeitungen, die auf dem Tisch lagen, die Financial Times , die New York Times , über die teuren, schwarzen Ledersessel und den Fernseher, der mit gedämpfter Lautstärke Bloomberg-TV zeigte. Börsenkurse ratterten über den unteren Rand des Bildschirms. Sie wollte gerade unruhig wieder aufstehen, da klingelte das Telefon wieder.
»Emily.«
Jonathan.
»Du hast die Gondel gesehen zum Fensterreinigen?«
»Welche Gondel?«
Dann blieb ihr Blick haften. Jetzt hatte sie sie gesehen! Direkt vor dem Fenster befand sich die Kabine für den Fensterreiniger, die sie vorhin von unten gesehen hatte. Konnte das Zufall sein?
»Ja«, sagte sie tonlos.
»Sehr gut! Und du weißt, dass Fenster in solchen Gebäuden normalerweise nicht zu öffnen sind? Nun, dieses hier schon. Also, steh auf und öffne das Fenster.«
Sie schaute zum Fenster. »Das ist doch verboten?«
»Verboten ist es nicht, wenn ich es sage. Öffne das Fenster.« Die Stimme wurde tiefer. »Und denk immer an Ryan.«
Das reichte.
Das Fenster ließ sich tatsächlich öffnen.
»Siehst du die Gondel?«
»Ja.«
»Rein mit dir!«
»Ich soll in die Gondel klettern?«
»Das habe ich gesagt.«
»Warum?«
Allein der Gedanke, über das Fenster in dreihundert Metern Höhe in die Gondel zu steigen, ließ ihr den Schweiß ausbrechen. Und was wäre, wenn jetzt jemand in den Raum käme und …
»Weil ich es sage, darum! Oder gab es bisher eine andere Begründung? Ich denke, unsere Verhandlungspositionen sind etwas, sagen wir mal, asymmetrisch. Ich habe alle Macht. Und du keine.«
Sie klemmte das Handy an das Ohr und stieg zitternd über den Fenstersims. Unten gähnte der Abgrund. Fast wäre sie zusammengezuckt, und das Handy wäre in der Unendlichkeit des Abgrunds verschwunden. Was wäre dann gewesen? Sie hätte Ruhe vor dem Irren gehabt. Aber was wäre dann mit Ryan?
»Ich muss das Handy in die Tasche stecken, sonst fällt es mir herunter.«
»Kein Problem«, sagte die Stimme. »Klettere in die Gondel und dann nimm das Handy wieder ans Ohr.«
Sie stieg über die Brüstung und hielt sich mit schweißnassen Händen an der Balustrade fest, versuchte, auf keinen Fall nach unten zu schauen. Wohin dann? Nach oben? Nein, das ging auch nicht. Nach vorne? Nein, dann sah sie den Hudson River und weiter südlich den Südzipfel von Manhattan. Alles das, was ihr zeigen würde, dass es hier nach wie vor verdammt hoch war und dass Emily Höhenangst hatte. Jetzt viel mehr als je zuvor.
Sie klammerte sich an der Gondel fest, die bedrohlich hin und her schwankte. Legte ein Bein über den Rand der Gondel, während unter ihr der Abgrund gähnte. Jetzt das andere Bein.
Für einen kurzen Moment warf sie einen Blick nach unten. Sie sah die Straße, die Tiefe, die winzigen Menschen, die sich dort wie Punkte bewegten, die Autos wie winzige Reißzwecken auf einer gigantischen, quadratischen Pinnwand.
»Nein!« Sie gab sich einen letzten Schwung und landete wie ein Sack im Inneren der Kabine.
Sie setzte sich auf die Knie. Zog das Handy aus der Tasche.
»Ich bin drin«, sagte sie und ihre Stimme zitterte so sehr, dass sie nicht wusste, ob der Anrufer sie verstanden hatte.
»Ich bin sicher, dass du das bist.« Er räusperte sich. »Jetzt schau nach unten.«
Sie zwang sich nach unten zu sehen und hielt sich mit beiden Händen verkrampft an der Kabine fest, während die Gondel wie verrückt schwankte. Etwa vier Stockwerke tiefer lag auf einem Sims ein schwarzer, schwerer Gegenstand. Darunter – ein Blatt Papier.
»Hast du es gesehen?«
»Ja.«
»Du wirst runterfahren mit der Kabine und das Papier holen. Denn darin sind die nächsten Anweisungen für dich.«
»Und wie mache ich das?«
»Schau dir die Armaturen an. Das sollte für eine Studentin «, er spuckte den Begriff fast aus, »ja nicht so schwer sein.«
Es gab Armaturen. Sie drückte auf einen Knopf.
Mit einem ruckartigen Surren setzte sich die Maschine nach oben in Bewegung. Emily verlor beinah das Gleichgewicht.
Falsche Richtung, verdammt!
Dann der andere Knopf.
Langsam ruckelte die Kabine nach unten, schwankte im eisigen Wind, der hier oben wehte. Es fehlte nicht viel, und sie würde sich über den Rand der Gondel erbrechen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie das untere Stockwerk erreicht. Mit zitternden Händen griff sie nach dem schwarzen Stein, der das Papier bedeckte.
Da kam eine
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