Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
und seht euch an, was es im Caligorium zu gaffen gibt, aber ich warne euch – dort lauert das Verderben!«
    »Ja«, tönte es aus der sich auflösenden Menge zurück. »So wie im Schnaps, den du getrunken hast!« Wieder lachten die Leute, während sich auch die letzten zum Gehen wandten. Der Hüne, so schien es, hatte den Verstand verloren – einer der vielen Verrückten, die durch die Straßen Londons irrten und weder Arbeit noch ein Dach über dem Kopf hatten.
    »Wer hat das gesagt?« Der Ire fuhr wütend herum. Er wankte auf dem Podest, wäre beinahe gestürzt.
    Cyn konnte nicht anders, als Mitleid mit ihm zu empfinden. Zum einen, weil sie erkennen konnte, dass aus seinen groben, feuerroten Zügen nicht nur Zorn sprach, sondern auch tiefe Verzweiflung, zum anderen, weil sie, anders als die übrigen Passanten, zu wissen glaubte, wovon der Mann redete.
    Ohne lange nachzudenken, bahnte sie sich einen Weg zur Mitte des sich auflösenden Pulks und stand im nächsten Moment vor dem Podest.
    »Sir?«
    »Was?« Wieder fuhr der Ire wankend herum, blitzte zornig auf sie herab. »Willst du mich ebenfalls veralbern? Dich über mich lustig machen wie die anderen?«
    »Nein«, versicherte Cyn. Allein die Größe des Mannes machte ihr Angst, aber sie gab sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. »Ich möchte wissen, was genau mit Ihrem Bruder geschehen ist. Sie sagten, Sie hätten ihn nicht mehr wiedererkannt?«
    Der Hüne musterte Cyn mit loderndem Blick, und einen Moment lang war sie nicht sicher, ob er sie schelten und davonjagen oder sie gleich erschlagen würde. Sie verwünschte sich für ihre Unvernunft und wollte sich wieder zurückziehen, als er sich auf die Knie niederließ, pfeifend wie ein kaputter Blasebalg, aus dem die Luft entwich.
    »So ist es«, versicherte er mit rauer, kraftloser Stimme. Selbst jetzt, da er auf dem Podest kauerte, war er noch immer so groß, dass er ihr in die Augen schaute, und ihr wurde übel von dem Schnapsatem, der ihr entgegenschlug. »Er ist wie ein Schlafwandler, ohne jede Teilnahme. Und er ist so, seit er in diesem verdammten Theater war. Das Caligorium ist ein schrecklicher Ort, Mädchen. Das Böse lauert dort.«
    »Das … das Böse?« Cyn hob die Brauen, während ihr ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Die Haltung des Iren, sein gequälter Blick, seine ganze Art zu sprechen machten es ihr unmöglich, seine Worte als das geistlose Gewäsch eines Betrunkenen abzutun.
    »Sie machen dort etwas mit den Menschen«, fügte er leise hinzu, die Stimme verschwörerisch gedämpft.
    »Und … und was?«, fragte Cyn, obwohl sie nicht sicher war, ob sie es tatsächlich wissen wollte.
    »Ich weiß es nicht.« Der Hüne schüttelte das von wirrem rotem Haar bedeckte Haupt. »Sie … sie …« Er schien nach passenden Worten zu suchen, schaute dabei an seiner zerlumpten Kleidung herab, als wären sie dort zu finden. Schließlich griff er in seine Manteltasche, zog eine leere Schnapsflasche hervor und betrachtete sie. »Sie saugen sie aus«, erklärte er, »bis sie so leer sind wie diese Flasche Gin.«
    »Leer?« Cyn erschauderte bis ins Mark.
    Konnte es tatsächlich sein, dass …?
    »Du glaubst mir wohl nicht?«, blaffte der Hüne sie an, und noch ehe sie fliehen oder auch nur zurückweichen konnte, hatte er sie schon am Arm gepackt, den er wie ein Schraubstock umklammerte. »Glaubst dem armen alten Pete O’Riley kein Wort, was?«, lallte er. »Aber ich schwöre dir beim Heiligen Patrick, genau so ist es! Mein kleiner Bruder ist so leer wie eine ausgesoffene Flasche Gin, seit er in diesem verdammten Theater war!«
    In seiner Verzweiflung begann er, Cyn zu schütteln, die sich in der Pranke des Iren wie ein Spielzeug vorkam. Verzweifelt versuchte sie, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. »Bitte, Sir«, flehte sie, »lassen Sie mich los! Sie tun mir weh!« Doch der Hüne schien sie gar nicht zu hören. Vermutlich hätte er ihr den Arm gebrochen, hätten sie nicht in diesem Augenblick Gesellschaft erhalten.
    »Das ist er! Das ist der Mann!«, rief plötzlich jemand, und ein halbes Dutzend schwarz uniformierter Constables mit ihren hohen Helmen tauchte plötzlich aus dem Nebel auf. Bei ihnen war der Ausrufer, der aus einer Stirnwunde blutete und dessen Zylinder einige Beulen aufwies. Offenbar hatte er sich davongestohlen und die Polizei alarmiert.
    Als sich die Constables mit erhobenen Schlagstöcken auf den kräftigen, aber sturzbetrunkenen Iren stürzten, ließ dieser Cyn

Weitere Kostenlose Bücher