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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Ideen, des Wissens und des Staunens, des Lichts und der Schatten!«
    Eine Traube von Schaulustigen schälte sich aus dem Nebel, die sich an der Kreuzung zur Brushfield Street versammelt hatte. In ihrer Mitte ragte eine dunkle Gestalt auf, die einen vornehmen Zylinder trug und mit einem Stock gestikulierte, um die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zu ziehen. Trotz des geschäftigen Treibens, das wie immer um diese Zeit herrschte, waren bereits viele Leute stehen geblieben, und dem Gesetz der Masse gehorchend, wurden es immer mehr.
    Auch Cyn gesellte sich dazu und lauschte den vollmundigen Worten, mit denen der Ausrufer das Caligorium anpries: »Sensationen über Sensationen! Eine Welt, von der Sie nicht glauben, dass sie existiert – bis zu dem Moment, da sich der Vorhang hebt und Sie sie mit eigenen Augen sehen!«
    Hier und dort tuschelten die Leute miteinander oder stießen sich gegenseitig mit den Ellbogen. Der Ausrufer war wirklich gut in dem, was er tat, in vielen Gesichtern entdeckte Cyn Neugier, Augen blitzten mit frisch geweckter Sensationslust. Selbst Cyn konnte sich dem nicht ganz entziehen. Hatte auch ihr Vater in jener Nacht den Worten eines Ausrufers gelauscht? War dies der Grund dafür gewesen, dass er ins Caligorium gegangen war? Hatte er es nicht geplant, sondern sich spontan dazu entschlossen?
    Der Gedanke tröstete sie ein wenig, auch wenn sie nicht sagen konnte, warum. Und er beantwortete noch längst nicht die Fragen, die sie quälten: Was war in jener Nacht geschehen? Was war ihrem Vater widerfahren, das ihn so verändert hatte?
    Cyn musste an Sergeant Finlays Worte denken. Für den Polizisten schien festzustehen, dass ihr Vater Opium genommen hatte. Zwar glaubte Cyn das nicht, aber konnte sie sich ganz sicher sein? So vieles geschah in diesen Tagen, das sie noch vor ein paar Wochen für unmöglich gehalten hätte, ihr Leben, wie sie es gekannt hatte, hatte sich auf den Kopf gestellt. Vielleicht, sagte sie sich, war es an der Zeit, sämtliche Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
    »Kommen Sie ins Caligorium!«, rief der Mann mit dem Zylinder wieder. »Das Caligorium wartet! Es wartet auf Sie, Sir«, versicherte er und deutete mit dem Stock in die Menge. »Und es wartet auch auf Sie, noble Dame! Scheuen Sie nicht den hohen Eintrittspreis! Professor Caligore garantiert jedem, der von der Erfahrung, die das Caligorium ihm bietet, nicht völlig zufriedengestellt ist, die Erstattung des Eintrittsgeldes!«
    »Humbug!«, rief plötzlich jemand und reckte eine geballte Faust empor.
    »Sie glauben mir nicht, Sir?«
    »Allerdings nicht!«, scholl es zurück. Die Stimme war rau und schwer vom Alkohol und hatte einen harten irischen Akzent.
    »Und warum nicht, ehrenwerter Herr? Haben Sie einen begründeten Anlass, an meinen Worten zu zweifeln?«
    »Und ob ich den habe, du elende Ratte!«, kam es zurück, und noch ehe der Ausrufer oder irgendjemand sonst reagieren konnte, war der Mann – ein vierschrötiger Hüne in einem zerschlissenen Anzug und mit einem bärtigen, feuerroten Gesicht – auch schon zu ihm hinaufgesprungen.
    »Sir, ich muss entschieden protestieren!«, beschwerte sich der Zylinderträger, der andere stieß ihn daraufhin vom Podest, sodass er in der Menge landete. Männer fluchten, einige Frauen schrien entsetzt auf.
    »Reiß noch mal das Maul auf«, lallte der betrunkene Ire von oben herab, »und ich schwöre dir, dass ich dich eigenhändig umbringen werde, hast du verstanden?«
    Ein Raunen ging durch die Menge. Die Augen des Hünen blitzten so feindselig und voller Angriffslust, dass die Leute eingeschüchtert zurückwichen.
    »Was glotzt ihr denn so?«, herrschte er sie an. »Mein Bruder Shamus ist dort gewesen! Zusammen mit ein paar Kumpels ist er in dieses verdammte Theater gegangen – seither erkenne ich ihn nicht wieder!«
    Cyn glaubte, nicht recht zu hören!
    Während andere Schaulustige sich abwandten und weitergingen, die einen ungläubig lachend, die anderen kopfschüttelnd, blieb sie wie angewurzelt stehen.
    »Ihr glaubt mir nicht?«, donnerte der Hüne von seinem Podest herab. »Aber ich sage die verdammte Wahrheit! Mein kleiner Bruder war ein feiner Kerl, ehrbar und fleißig und immer zu Späßen aufgelegt, aber jetzt …«
    »Ein fleißiger Ire?«, höhnte jemand. »Das gibt’s doch gar nicht!«
    Einige Leute lachten, was den Betrunkenen vollends in Rage brachte. »Lacht nur, ihr Idioten!«, wetterte er. »Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt! Geht nur ruhig hin

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