Spiel der Teufel
hatten, was Ivana betraf. Santos war unausgeschlafen. Sie hatte
die Nacht auf dem Sofa verbracht, und tausend Gedanken waren
ihr durch den Kopf gegangen. Ständig hatte sie sich gefragt,
welche Rolle Ivana in dem undurchsichtigen Spiel zukam, ohne
zu einem schlüssigen Ergebnis zu gelangen. Doch je länger sie
über Ivana nachdachte, desto sicherer wurde sie, dass für diese
noch junge Frau heute ein entscheidender Tag war.
Nach dem Briefing rief Henning bei Nina an.
»Hi, Nina, ich bin's, Sören. Lisa und ich würden gerne noch
mal bei dir vorbeischauen. Passt es dir in einer Stunde?«
»Ja, aber beeilt euch, ich muss noch einmal zum Bestatter und
aufs Amt. Wird es lange dauern?«
»Nein, höchstens eine halbe Stunde. Wir sind schon auf dem
Weg.«
Auf der Fahrt nach Strande unterhielten sich Henning und
Santos noch einmal über Ivana, wobei Santos' Nerven zum
Zerreißen gespannt waren.
»Lisa, warum machst du dir so einen Kopf? Die Frau ist so
unterkühlt und unnahbar ...«
»Das ist alles nur äußerlich, doch das willst du nicht sehen. Ich
habe sie erlebt, und glaub mir, sie ist eine sehr traurige und
verzweifelte junge Frau.«
»Mag sein, aber auf der Welt gibt es Millionen und Abermillionen
von traurigen und verzweifelten Frauen.«
»Darum geht's doch gar nicht. Lassen wir das Thema, ich bin
nicht in der Stimmung, darüber zu diskutieren.«
Nina wirkte abgehetzt und in Eile, als sie sie ins Haus bat. Das
Wohnzimmer war ausnahmsweise nicht aufgeräumt, der Fernseher
lief, auf dem Tisch lagen mehrere Zeitungen, darunter
eine russische. Daneben ein Weinglas und eine angebrochene
Flasche Rotwein.
»Fasst euch bitte kurz, ich hab wirklich nicht viel Zeit. Ihr hättet
besser am Montag kommen sollen«, sagte sie und machte
das Sofa frei. »Nehmt Platz.«
»Wir hätten auch morgen kommen können«, sagte Santos.
»Ich fahre übers Wochenende weg, ich ertrage diese Stille hier
nicht mehr. Bis vor zwei Monaten war dieses Haus noch voller
Leben, dann starb Rosanna und jetzt Gerd. Ich drehe fast
durch. Am liebsten würde ich ganz weit wegfahren, damit ich
das hier nicht mehr sehen muss.«
»Kann ich verstehen«, sagte Henning und musste dabei an die
Worte von Ivana denken, die mehrfach betont hatte, dass die
Ehe von Nina und Gerd nur noch auf dem Papier bestanden
hatte. Er musste sich beherrschen, das Thema nicht anzuschneiden,
aber er spürte Lisas Anspannung, die hoffte, er
würde den Mund halten. Wie oft, dachte er, war er in diesem
Haus gewesen, wie oft hatte er mit Gerd und Nina gesprochen,
und nie hatte er das Gefühl gehabt, dass zwischen den beiden
schon lange nichts mehr stimmte. Sie hatten nach außen die
absolute Harmonie gezeigt, doch in Wahrheit war alles nur
Schein. Der Schein der schönen heilen Welt, den sie so perfekt
zur Schau gestellt hatten. Immer lächelnd, immer gut drauf, nie
ein lautes Wort. Sie hatten Karten gespielt, gegrillt, sich über
Gott und die Welt unterhalten.
»Gar nichts kannst du verstehen«, erwiderte Nina, »gar nichts.
Mir ist alles genommen worden, was ich hatte. Ich werde in
meine Heimat zurückgehen, das habe ich gestern beschlossen.
Es gibt nichts und niemanden, was mich hier noch hält.«
»Willst du dir das nicht noch mal überlegen?«, meinte Santos,
die wie Henning Nina aufmerksam beobachtete.
»Was gibt's da noch zu überlegen? Wie würdet ihr an meiner
Stelle handeln? In einem Haus wohnen, in dem jedes Leben
erloschen ist? Nein, das kann ich nicht, dazu bin ich noch zu
jung. Achtundzwanzig und schon Witwe.« Sie lachte fast hysterisch
auf. »He, ich bin noch nicht mal dreißig und habe schon
mehr durchgemacht als die meisten andern. Ich halte es nicht
mehr aus, ich habe das Gefühl, erdrückt zu werden. Gestern
hab ich mich zum ersten Mal so richtig betrunken, weil ich mir
sonst vielleicht etwas angetan hätte. Ja, ich geb zu, ich hab mit
dem Gedanken gespielt, mich umzubringen, das ist aber schon
wieder vorbei. Bringt mir den Mörder von Gerd, damit ich ihm
in die Augen schauen kann. Oder besser noch, lasst mich für
einen Moment mit ihm allein. So zehn oder fünfzehn Minuten.
Das würde mir schon reichen.«
»Erstens haben wir noch keine Spur, und zweitens würden wir
dir diesen Wunsch nie erfüllen. Wir leben in einem Rechtsstaat,
und Selbstjustiz ...«
»Willst du mich auf den Arm nehmen? Rechtsstaat? Dass ich
nicht lache! Wie oft hat Gerd mir von seinem Frust erzählt,
wenn er in seinen
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