Spiel der Teufel
geschlafen, aber sein Jagdinstinkt war
geweckt worden, und wenn dies der Fall war, konnte er sowieso
nicht einschlafen, er hätte nur wach gelegen und gegrübelt.
In ihm war jene Unruhe, die ihn antrieb und zu Höchstleistungen
beflügelte. Zumindest manchmal. Santos kam zu ihm,
wusch sich die Hände und benetzte ihr Gesicht mit Wasser,
warf einen langen Blick in den Spiegel und trocknete sich ab.
»Fertig?«, fragte er, während er an den Türrahmen gelehnt dastand,
die Arme verschränkt.
»Fertig«, antwortete sie mit einem gequälten Lächeln.
DIENSTAG, 23.35 UHR
Um fünf nach halb zwölf hielten sie vor Wegners Haus. Die
Rollläden waren heruntergelassen, nur durch einige Ritzen
schimmerte noch Licht. Die Straße war wie in den meisten Orten
rund um die Ostsee, Kiel eingeschlossen, wie ausgestorben,
wenn die Urlaubszeit noch nicht angebrochen war. Jetzt, kurz
vor Mitternacht, kam es ihnen vor, als befänden sie sich in einer
Geisterstadt. Nichts war zu hören, geschweige denn zu sehen,
nicht einmal ein bellender Hund oder eine Katze, die über die
Straße schlich. Es war eine gespenstische Atmosphäre, zumindest
empfand Santos dies so, auch wenn sie sich nicht fürchtete.
Es gab ohnehin kaum etwas, wovor sie Angst hatte.
Sie klingelten und warteten, bis sich Ninas Stimme aus dem
Lautsprecher meldete.
»Wir sind's, Sören und Lisa«, sagte Henning.
Nina öffnete. Sie trug noch immer die Kleidung vom Nachmittag.
Ihre Augen hatten einen matten Glanz, als sie vor ihnen
stand und sie wortlos an sich vorbeitreten ließ.
»Wir wissen, dass es sehr spät ist, aber ...«
»Die Polizei klingelt doch sonst nur nachts, wenn sie jemanden
verhaften kommt«, sagte Nina mit schwacher Stimme.
»Nicht immer. Wir müssen dir nur unbedingt ein paar Fragen
stellen und uns noch mal genau umschauen«, erwiderte Santos,
um Nina zu beruhigen.
»Um diese Zeit? Hätte das nicht bis morgen warten können?«
»Nein, leider nicht.« Und im Flüsterton: »Ist Gerds Mutter
hier?«
Nina verneinte. »Du kannst ruhig ganz normal sprechen. Sie
ist wieder nach Hause gefahren. Sie hat gemeint, sie würde es
hier drin nicht aushalten. Damit hat sie aber nur ausdrücken
wollen, dass sie es mit mir nicht aushält. Na ja, so ist sie nun
mal, eine verbitterte alte Frau. Tut mir leid, wenn ich so rede,
aber wir beide werden wohl nie zueinanderfinden. Ich glaube,
sie gibt mir die Schuld an dem ganzen Leid, das ihrer Familie
zugefügt wurde. Ich muss inzwischen damit leben.«
Sie nahmen im Wohnzimmer Platz. Auf dem Tisch lag eine aufgeschlagene
Bibel. Nina griff danach und sagte: »Ich hoffte eine
Lösung darin zu finden, vielleicht auch etwas Ruhe. Vorhin war
ich in der Kirche und habe mit dem Pfarrer gesprochen. Aber
glaubt mir, in dieser Situation kann keiner helfen. Doch irgendwie
wird es schon weitergehen. Darf ich euch etwas anbieten?
Ein Bier? Ich habe noch ein paar Flaschen da.«
Henning sah Santos an, als würde er von ihr Zustimmung erwarten,
und antwortete: »Du brauchst dir keine Umstände zu
machen.«
»Das sind keine Umstände, ich bin froh, dass ihr hier seid. Du
auch, Lisa?«
»Ausnahmsweise.«
»Gut, dann geh ich mal was holen. Lisa, du weißt ja, wo die
Gläser stehen, wenn du so lieb wärst und ...«
»Natürlich«, sagte Santos, stand auf und ging zum Schrank,
nahm drei Gläser und Untersetzer heraus und stellte sie auf
den Tisch.
Nina kehrte kurz darauf mit dem Bier zurück und schenkte
ein. Sie prosteten sich zu.
Nina trank einen Schluck und sagte: »Und jetzt verratet mir,
warum ihr mitten in der Nacht zu mir kommt.«
Henning wischte sich mit dem Handrücken über den Mund
und antwortete: »Zum einen möchten wir dir mitteilen, dass
du recht hattest. Gerd hat keinen Selbstmord begangen, das haben
wir vor etwa einer halben Stunde erfahren.«
Nina zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Ich habe nichts
anderes erwartet. Wie ist er gestorben?«
»Das können wir dir leider noch nicht beantworten, erst
morgen.«
»Und warum nicht jetzt?«
»Weil wir es offiziell noch gar nicht wissen dürfen. Aber das ist
nicht der alleinige Grund, weshalb wir hier sind ...«
»Und was sind die andern Gründe?«, fragte Nina und pustete
gekonnt eine Strähne weg, die über dem rechten Auge hing. Sie
saß vornübergebeugt, die Arme auf den Schenkeln, und drehte
zwischen den langen, schmalen Fingern langsam das noch halb
volle Glas.
»Wir müssen mehr über Gerd
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