Spiel des Lebens 1
als du glauben magst.« Er lachte, dann wurde seine Stimme wieder ganz geschäftlich. »Nun, wir haben keine Zeit zu verlieren. Das Spiel geht weiter.«
Jonathan, dachte sie. Er hatte die Anschlüsse manipuliert. Sie griff instinktiv nach ihrem Handy, doch diesmal wunderte sie sich nicht, dass sie kein Glück hatte. Kein Carter, keine Mum, kein Ryan, keine Julia. Wie vorhin, als sie aus der U-Bahn gestiegen war.
»Emily«, sagte Jonathan, »du kannst in dem Raum bleiben, bis deine Vorräte in diesem schicken Kühlschrank ausgehen. Oder du kannst deine Eltern finden. Denn dazu hast du nur noch genau bis Mitternacht Zeit. In diesen dreißig Minuten musst du den letzten Hinweis finden, um deine Eltern zu retten. Die Zeit ist knapp, wir machen es daher kurz, denn weder du noch ich haben Lust auf lange Rätsel. Habe ich recht?«
»Ja.«
Jonathan sprach weiter. »Wir machen es also, sagen wir mal, idiotensicher. Hörst du zu?«
»Ich höre zu«, sagte Emily tonlos.
»Gehe zur Scherbe und steige nach oben, bis du dein Paradies findest.«
Dann sagte er nichts mehr.
»War das das Rätsel?«, fragte Emily. Sie wusste nicht, ob die Frage klug war, aber sie musste sie stellen.
»Ja«, sagte Jonathan gedehnt, »das war das Rätsel. Hast du es verstanden?«
Hatte sie das?
»Ich weiß es noch nicht.«
»Denke einfach immer an deine Eltern«, sagte Jonathan, »und an die neunundzwanzig Minuten. Und tue nichts Unüberlegtes. Deine Mummy kann so schlecht Schmerzen ertragen.«
Dann legte er auf.
Emily sank an der Wand hinunter. Schon wieder eine Falle. Und noch ein Rätsel. Und nur neunundzwanzig Minuten. Jetzt achtundzwanzig.
Sie schaute in die Kamera.
Sah, wie Jonathan und die Squatter die Villa verließen und durch den Korridor nach draußen gingen.
Sie wartete.
Eine Minute. Zwei Minuten.
Dann atmete sie tief durch.
Und öffnete die Tür.
Es war niemand mehr da. Die Villa war leer. Nur ein seltsamer Geruch.
Sie schaute auf die Kommode. Sah den Schlüssel vom Mini ihrer Mutter. Sie zögerte keine Sekunde, raste nach draußen, sprang in den Mini und drehte den Schlüssel herum. Der Motor sprang an. Sie raste rückwärts aus der Einfahrt heraus.
Dann hörte sie das Pochen.
Irgendjemand rannte hinter ihr her und schlug auf die Heckscheibe. Es waren doch noch Squatter zurückgeblieben. Emily reagierte, ohne nachzudenken.
Mich kriegt ihr nicht mehr, dachte sie. Sie legte den Vorwärtsgang ein, schaute nach vorn. Da war noch einer. Er stand mitten vor ihr auf der Straße und breitete die Arme aus. Sie hupte. Er blieb stehen.
Ihre Blicke trafen sich für eine Sekunde.
Wie du willst , dachte sie, gab Gas und schloss die Augen.
Sie hörte ein dumpfes Krachen, dann noch einen Schlag, als der Mann gegen die Windschutzscheibe geschleudert wurde und dann noch einen, als er hinter dem Auto auf dem Boden landete. Sie schaute in den Rückspiegel, während sie die Straße entlangraste. Zwei weitere Squatter liefen zu einem weißen Van, der nicht weit vom Eingang zur Villa geparkt war.
Und dann sah sie noch eine Gestalt. Etwas kleiner, mit Hornbrille und blauem College-Pullunder.
Jonathan stand auf der Straße und blickte hinter ihr her. Und lächelte.
49
E mily raste um die Kurve, die Bayswater Road hinunter, und die Reifen quietschten. Das Wasser einer riesigen Pfütze auf der Kreuzung spritze nach oben, eine schmutzige Welle, die zu Boden fiel, als der weiße Mini schon längst fünfzig Meter entfernt war.
Sie raste die Straße entlang.
Doch wohin musste sie fahren?
Die Zeit wurde knapp.
Sie dachte an das seltsame Rätsel:
Gehe zur Scherbe und steige nach oben, bis du dein Paradies findest.
Die Scherbe.
Bevor sie irgendwo hinfahren konnte, musste sie wissen, was mit der Scherbe gemeint sein konnte.
Sie umklammerte das Lenkrad. Zwar hatte sie noch vor dem College ihren Führerschein gemacht, was man in Großbritannien bereits ab siebzehn Jahren durfte, doch noch nie war sie so schnell gefahren. Wie viele Minuten waren verstrichen? Sie wusste es nicht mehr. Panisch schaute sie in den Rückspiegel. Dort tauchte immer wieder ein weißer Van auf. Was hieß das? Waren sie in dem weißen Van? Verfolgte Jonathan sie?
Sicher tat er das.
Rechts von ihr schoss im Dunkeln der Hyde Park vorbei, und unweigerlich musste sie an Jonathan denken, der sie dort hingelotst hatte und wo Carter, Matt und Jim und die Ermittler dann statt eines Täters nur ein höhnisch sprechendes Funkgerät im Mülleimer gefunden hatten. Vorbei
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