Spiel des Schicksals
nicht lange dauern; es war nicht weit, und es war heller Mittag über Kairo. Wie sollte es irgend jemandem möglich sein, mich unter diesen Millionen von Menschen zu entdecken? Ich trat zu Asmahan ans Fenster und spähte hinunter. Eine riesige Menge von Passanten zog wie ein Fluß unter uns vorbei. Jeder von ihnen hatte sein eigenes Ziel vor Augen, und keiner schenkte dieser Wohnung auch nur die geringste Beachtung. Ich sah dem Gedränge eine Weile zu und fühlte mich schließlich wieder in meiner Sicherheit bestätigt. Achmed Raschid hatte recht. Keiner von Rossiters Leuten kannte mein Versteck. Es wäre so einfach, schnell hinauszugehen, den Anruf zu tätigen, einen beruhigenden Moment lang mit Dr. Kellerman zu plaudern und danach schleunigst zurückzukehren. Es konnte nicht schiefgehen. Ich würde mich ja sowieso in Begleitung von Asmahan befinden. Niemandem würden zwei junge Frauen auffallen, die zusammen spazierengingen. Insbesondere – ich drehte mich um und blickte auf den breitkrempigen Sonnenhut auf dem Tisch – insbesondere ein ägyptisches Mädchen mit einer Freundin, deren Gesicht verborgen war.
Mein Herz begann wie wild zu schlagen. Natürlich würde es klappen!
Ich wurde ganz aufgeregt. Gleich würde ich mit Dr. Kellerman sprechen, würde seine Stimme hören, meine Augen schließen und mir vorstellen, daß er hier bei mir wäre. »Können wir gehen?« fragte ich Asmahan.
Sie war ein gefühlsbetontes, leicht erregbares Wesen und ließ sich offensichtlich von meiner eigenen plötzlichen Aufregung anstecken. Sie mußte es für ein Abenteuer halten. »Aywa!« Dann sagte sie etwas auf arabisch und lachte. Ich rannte noch einmal schnell ins Schlafzimmer – in aller Eile, denn ich wollte nicht erleben, daß sie es sich plötzlich aus irgendeinem Grund anders überlegte –, packte meine Handtasche, versicherte mich, daß der Schakal sicher unter meiner Bluse steckte, und entschloß mich im letzten Augenblick, eine Jacke anzuziehen. Damit wollte ich verhindern, daß man meine weißen Arme in der dunkelhäutigen Menge erkennen könnte.
Als wir uns zum Gehen anschickten, warf ich einen bewundernden Blick auf ihren Hut, bemerkte, wie schön er doch sei, und war froh, als sie mir anbot, ihn aufzusetzen. Asmahan berührte mit der Fingerspitze meine Wange und deutete dann auf ihr eigenes Gesicht, um auf den Unterschied unserer Teints hinzuweisen. Dann zeigte sie mit dem Finger nach oben, beschrieb einen Kreis in der Luft und berührte abermals meine Wange. Übersetzt sollte das wohl in etwa bedeuten, daß ich diejenige sei, die den Hut tragen solle, da meine Haut unter der sengenden Sonne eher leiden würde. Ich blieb kurz vor dem Spiegel neben der Tür stehen. Von meinem Gesicht war wenig zu erkennen, denn ich hatte zusätzlich noch eine große Sonnenbrille aufgesetzt, die zusammen mit dem Schatten der Hutkrempe dazu beitrug, das meiste von meiner Hellhäutigkeit und meiner Identität als Amerikanerin zu vertuschen. Dann hing ich mir den Riemen meiner Handtasche über die Schulter, überlegte noch einmal flüchtig, was ich tat, beschloß, den einmal gefaßten Plan durchzuführen, und öffnete die Tür.
Nicht einmal, als wir zusammen ins strahlende Sonnenlicht der Straße hinaustraten, erkannte ich die wahre Bedeutung dessen, was ich tat. Ich hatte mir diesen Plan aus mehreren Gründen ausgedacht. Der erste und wichtigste bestand darin, mit Dr. Kellerman Kontakt aufzunehmen und ihm zu versichern, daß mit mir alles in Ordnung sei. Ein weiterer Grund war, daß ich alles getan hätte, um aus dieser Wohnung herauszukommen. Es war nervenzermürbend, in der Wohnung eingesperrt auszuharren und mich ständig zu fragen, wo ich eigentlich war, von wessen Gunst ich abhing und wie lange das alles noch so weitergehen sollte. Ein dritter, mir weniger bewußter Grund, mich ins Freie zu begeben, war, glaube ich, daß ich mir selbst etwas beweisen wollte. Ich brauchte den zweifelsfreien Beweis, daß ich in Mr. Raschids Wohnung tatsächlich sicher war und daß ich noch immer genug Mut besaß, jeder Herausforderung zu begegnen. Ich mußte die Gewißheit haben, daß die Mörder von John Treadwell mich schließlich doch nicht aus nächster Nähe beschatteten und daß ich mein furchtloses Wesen nicht allmählich dadurch verlor, daß ich mich hinter zugezogenen Fensterläden versteckt hielt. So zog ich an diesem Nachmittag in einer Art bewußt leichtsinniger Verwegenheit los. Und wegen des Befürfnisses, mit Dr. Kellerman zu
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