Spiel des Schicksals
reichte dem Kofferträger unsere Fahrkarten. Während er sich vor mir verbeugte und etwas Unverständliches murmelte, hob er unsere Koffer auf und stürzte sich gewandt in die Menge. Mr. Raschid ergriff meine Hand, und wir eilten ihm nach.
Wir erreichten den Zug und offensichtlich auch den richtigen Wagen, denn der Mann kletterte mühsam hinein. Wir stiegen hinter ihm ein. Als die Abteilnummern mit den Nummern auf den Fahrkarten übereinstimmten, schleppte der Kofferträger unser Gepäck hinein, klopfte den Staub von den Sitzen, brachte die Polster in Ordnung und rezitierte eine Anzahl von »Segenswünschen« auf arabisch. Achmed Raschid gab ihm ein paar Münzen, und weg war er. »Wissen Sie, das hätten wir doch eigentlich auch selbst tun können. So hätten wir das Geld gespart.«
Er bedachte mich mit einem seltsamen Blick. »Unser Land ist sehr arm, Miss Harris, und ich bezweifle nicht, daß es, verglichen mit Amerika, sehr einfach ist. Viele Ägypter brauchen Arbeit. Wenn es aber keine Arbeit gibt, dann schaffen wir eben welche. Dieser Mann hat sicher viele Kinder zu ernähren und arbeitet viele Stunden für ein paar Münzen. Nur wenige haben Glück, so wie ich. Und weil wir Glück haben, müssen wir anderen helfen. Das ist Allahs Gesetz.«
»Tja, nun…« Diese Moralpredigt machte mich verlegen, so daß ich meine Aufmerksamkeit dem Zugabteil zuwandte. Es war unerhört klein. Doch immerhin schien es sauber zu sein, und dafür war ich dankbar. Bei einer Grundfläche von etwa einem halben auf einen Meter wurde der restliche Platz von einem Wandschrank, einem Waschbecken und Etagenbetten eingenommen. Alles in allem war es eigentlich ganz gemütlich. »Gefällt es Ihnen?«
»Sehr gut. Ich werde schlafen wie ein Murmeltier.« Wir ließen uns beide auf den Sitzbänken nieder, und Mr. Raschid schloß die Tür. Jetzt, da der Lärm etwas reduziert war, konnte er besser reden. »Ich bin im Abteil nebenan, aber ich werde hierbleiben, bis der Zug Kairo verlassen hat und bis Ihre Fahrkarte kontrolliert worden ist. Der Schaffner spricht vielleicht kein Englisch. Dann werde ich Sie allein lassen, und Sie werden die Tür verriegeln. Verstehen Sie das?«
»Jawohl, Sir.«
»Wenn Sie mich brauchen, klopfen Sie an diese Wand, und ich werde Sie hören.« Er schlug mit dem Fingerknöchel an die Wand neben meinem Bett. »Ich werde dann sofort kommen.«
»In Ordnung.«
»In Luxor werden wir ein Hotel aufsuchen. Ich weiß noch nicht, welches – das New Winter Palace wird wohl belegt sein, aber das Winter Palace und das Luxor Hotel werden sicherlich Zimmer frei haben. Ich hatte keine Zeit mehr anzurufen. Aber es ist ganz hübsch dort.«
»Ich bin mit allem zufrieden.«
Er lächelte höflich und schaute mich von der Seite an. »Ich glaube nicht, Miss Harris. Wahrscheinlich finden Sie mein Land ekelerregend. Vielleicht wirkt es so auf Amerikaner. Ich weiß nicht, wie es in Ihrem Land ist, aber es muß wohl sehr reich und sehr sauber sein.« Beinahe hätte ich gesagt: »Das ist es«, als mir bewußt wurde, daß ich im Begriff war, sarkastisch zu sein. So antwortete ich: »Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Mr. Raschid. Bis meine Schwester mich aus Rom anrief, war ich noch nie außerhalb der Vereinigten Staaten gewesen. In Rom war ich dann erstaunt über alles, was ich sah. Jetzt – in Ägypten – bin ich von allem, was ich sehe, nun ja, schockiert, weil ich nicht darauf vorbereitet war. Postkarten erzählen nie die ganze Geschichte. Sie können es mir nicht verübeln, daß ich verblüfft bin.«
»Ich nehme Ihnen nichts übel…«
»Doch, das tun Sie! Ich reagiere nur normal. Wenn sich irgend jemand stolz und beleidigt verhält, so sind Sie es, denn ich glaube, Sie schämen sich für Ägypten und versuchen, etwas zu sein, das Sie nicht sind. Sie behandeln diese armen Bettler, als stünden sie weit unter Ihnen, und es gibt Ihnen ein gutes Gefühl, wenn Sie ihnen ein paar Münzen zuwerfen. Sie maßen sich an, etwas Besseres zu sein als sie. Werfen Sie mir deshalb nichts vor, dessen Sie sich selbst schuldig machen, Mr. Raschid!«
Er schaute mich in verblüfftem Schweigen an. Draußen, vor meinem Fenster hörte man gedämpftes Geschrei. Da draußen war die Hölle los. Und hier drinnen saß ich mit diesem Mann, den ich kaum kannte und dem ich wirklich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Dann dachte ich: Was zum Teufel tue ich eigentlich hier? Ich hörte Achmed Raschid sagen: »Vielleicht haben Sie recht, Miss Harris. Ich will
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