Spiel mir das Lied vom Glück
schob ihn von einer Hand in die andere.
»Kommt sie zurück?«
Ich schluckte und sagte die Wahrheit: »Ich weiß es nicht.«
Er nickte.
Er senkte den Kopf, nicht betend, sondern resigniert. Ich stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. Dann ging ich.
Männer wollen nicht, dass Frauen sie weinen sehen.
Nachdem ich Lydia und Stash erzählt hatte, was passiert war, rief Stash am Abend bei Jerry an, obwohl er mit der Kirche nichts am Hut hatte. Er hatte den Pfarrer schon immer gemocht, auch wenn der nicht pokern wollte. Obwohl er ein richtiges Pokerface hatte.
Kurz danach traf Jerry bei uns ein. Zusammen mit Tante Lydia, Stash und mir setzte er sich an den Tisch. Es gab eine achtlagige Lasagne (um die kompliziert gelagerten Probleme in unserem Leben anzugehen), grünen Salat mit Himbeeren (Himbeeren bewirkten Wunder, glaubte Tante Lydia) und Bratwurst (warum wir die aßen, weiß ich nicht. Aber ich stelle meine Tante nicht in Frage).
Lydia hatte acht Kerzen angezündet, die für Hoffnung und Liebe standen. »Hoffnung und Liebe sind unsere großen Retter.
Sie retten die Seele davor, wie eine Trockenpflaume zu verdorren und einzugehen. Jerry muss Hoffnung und Liebe spüren. Verdammt nochmal, Lara!«, murmelte sie vor sich hin. »Versteht das nicht falsch, ich gebe ihr keine Schuld, aber der Mann liegt mir am Herzen, auch wenn er so krankhaft religiös ist.«
Tante Lydia bot Jerry Apfelkuchen an, aber er wollte nichts essen.
Stash bot ihm einen Scotch an, aber er wollte nichts trinken.
Die Kinder malten ihm bunte Bilder. Er nahm Shawn und Carrie Lynn in den Arm und sah aus, als würde er weinen, als sie ins Bett marschierten.
Tante Lydia bot ihm einen Joint an.
Er musste grinsen, lehnte höflich ab und dankte ihr für das Angebot.
»Ich wusste, dass sie unglücklich und gestresst war. Ich wusste, dass sie kaputt war«, sagte er und rieb sich mit zitternden Händen das Gesicht. Bei einem so ruhigen Mann wie Jerry war es wirklich schwer, dieses Zittern zu sehen. »Ich habe versucht, sie zu überreden, nicht ganz so viel für die Kirche zu machen, aber sie wollte nichts davon hören. Sie lächelte mich an und lachte, umarmte mich und meinte, es wäre schon in Ordnung.« Jerry stand auf und begann, im Raum auf und ab zu gehen. »Ich wusste, dass es nicht in Ordnung war, aber sie wollte einfach nicht mit mir darüber sprechen. Immer wieder habe ich sie ermutigt, zu malen und ihre Arbeiten auszustellen, aber sie weigerte sich.«
»Sie dachte wohl immer, sie würde dich und die Kirche mit ihren Bildern in Verlegenheit bringen.«
Jerry schüttelte den Kopf. »Nichts, was Lara tun könnte, würde mich je in Verlegenheit bringen. Gar nichts. Nicht mal das hier jetzt. Ich will sie einfach nur zurückhaben. Ist mir egal, wie lange ich warten muss. Mir ist egal, was sie in New York macht. Ich will sie nur zurück. Morgen früh fahre ich hin.«
Mehrere Minuten lang sprach niemand am Tisch.
»Fahr ihr nicht nach, Jerry«, sagte Tante Lydia und trank ihren Minzetee, der ihrer Meinung nach gut für die Eierstöcke war. Woher auch immer sie das wusste. »Lara braucht Zeit. Sie muss zu sich selbst finden. Sie muss malen. Sie muss als Künstlerin leben. Wenn sie so weit ist –«
»Falls sie jemals so weit ist«, unterbrach Jerry sie verbittert.
»Du hast recht: Falls sie jemals so weit ist, wird sie zu dir zurückkommen.« Tante Lydia tätschelte ihm die Hand. »Ich weiß, dass sie dich liebt, mein Junge, von ganzem Herzen. Sie redet immer nur von dir.«
»Aber es hat nicht gereicht, um zu bleiben.«
»Nein, das stimmt nicht ganz. Lara liebt sich selbst nicht genug, um zu bleiben. Sie muss sich erst selbst finden. Sie muss herausfinden, was sie mag, was sie nicht mag, woran sie glaubt und woran nicht. Sie braucht Zeit, um die Künstlerin zu werden, die sie immer sein wollte.«
Fassungslos schaute ich Lydia an. Diese Sätze klangen gar nicht nach ihr – ganz ohne weibliche Sekrete, Libido und Hormone. Dadurch wirkten sie noch aufrichtiger.
Das spürte selbst Jerry. Er schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Tante Lydia hielt ihn von rechts, ich von links. Linkisch klopfte Stash ihm auf den Rücken und sagte mehrmals, ein kleiner Scotch würde helfen, vielleicht sogar ein großer. Ob Jerry sich möglicherweise betrinken wolle?
Am Ende weinten wir alle. Um Lara. Um Jerry. Um Tante Lydia, die am nächsten Tag operiert werden sollte. Um die Chemotherapie, die auf die Operation folgte. Um Stashs Sorgen
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