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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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er fing an zu weinen, weil es ihn so fertig machte, wie es mir ging. Zwei erwachsene Männer, die sich kaum kennen, weinten zusammen ins Telefon.«
    Tante Lydia, Stash und ich schauten uns an. Wir alle hofften, irgendjemand hätte eine Antwort, aber dem war nicht so.
    Jerry lehnte sich zurück. »Ich bete«, sagte er ganz leise. »Ich bete, dass ich nicht den Verstand verliere.«

24
    Ich war kurz davor, meine ach so aufregende Zeitungsrunde an den Nagel zu hängen. James, der Inhaber von Cool Chocolates im Pearl District von Portland, konnte meine Schokolade gar nicht so schnell nachfüllen, wie er sie verkaufte, und genauso erging es anderen Händlern in Portlands Stadtviertel Hawthorne.
    Die Vorstellung, nicht mehr um vier Uhr morgens zum Austragen aufzustehen, hatte etwas Verlockendes, obwohl ich dann auch nicht mehr mit Dean plaudern konnte, wenn er am Wochenende oder im Urlaub zu Hause war und am Briefkasten auf mich wartete.
    Dann wieder dachte ich an das regelmäßige Einkommen. Es war nicht viel, aber besser als nichts. Ich würde doch noch weitermachen. Ich war zu oft im Leben arm und verzweifelt gewesen, so wollte ich mich nie wieder fühlen – Schokolade hin oder her. Ich habe mal gehört, dass Armut und die Angst vor der Armut einen nie ganz loslassen, wenn sie sich einmal wie schwarzer Schlamm in einem festgesetzt haben. Das glaube ich sofort.
    Aber dass ich mit meinem kleinen Schokoladenvertrieb Geld verdiente, war wirklich aufregend. »Gestern war eine Kundin hier, die einen ziemlich unangenehmen Anfall bekommen hat, weil sie schon zum dritten Mal hier war und wir wieder ausverkauft waren«, erzählte mir Penny Grayton, die Inhaberin eines Süßwarengeschäfts im Stadtviertel Hawthorne.
    »Sie hat ihren riesigen roten Federhut abgenommen, mit
dem längsten Finger auf mich gezeigt, den ich je gesehen habe, und mir gedroht, sie würde mich verklagen, wenn ich Ihre Schokolade nicht nachbestellen würde. Das ist kein Witz, Julia! Sie hat mir angedroht, mich zu verklagen. Letzte Woche habe ich einigen Stammkunden erzählt, wir würden eine neue Lieferung von Ihnen bekommen, da standen sie schon vor der Tür Schlange, als ich zur Arbeit kam. Bitte, Julia, ich brauche mehr.«
    »Ist geritzt, ich schicke was nach. Möchten sie irgendwas Bestimmtes?«
    Ich hatte mein Repertoire erweitert: Jetzt gab es mit Schokostückchen in Goldfolie gefüllte Tulpen, Schoko-Sektkelche, Schoko-Körbe mit rosa und gelb umwickelten Trüffeln drin und Schoko-Vasen mit Blumen aus Zuckerguss.
    »Die Penis- und die Brustschokolade ist besonders beliebt.«
    Ich musste lachen. Aus Spaß hatte ich mir eine Form gebastelt, in der man Schokolade zu einem Penis und zu zwei Brüsten gießen konnte, und Penny eine Ladung davon geschickt. Sie hatte gedacht, ich meinte es ernst, und stellte die Phallussymbole und die Schoko-Möpse in die Vitrine. Nach einer Stunde waren sie an eine Frau verkauft, die nicht aufhören konnte, darüber zu lachen.
    Penny erzählte mir, die Frau hätte die Schokolade am Abend zu einer Feier mit ihren Freundinnen genommen, und am nächsten Morgen seien vier von den Frauen hereingekommen und hätten nach Penissen und Brüsten gefragt. »Das hier ist der einzige Ort, wo die Leute Penisse und Brüste bestellen können, ohne sich schämen zu müssen. Los, an die Arbeit, Julia!«
    Und so machte ich mich an die Arbeit. Blöckeweise schmolz ich Schokolade.
    Es war nie genug.
    Am Ende des »Psycho-Abends zur Feier der Kahlheit« lag eine leichenblasse Caroline zusammengerollt wie eine Katze bei Tante Lydia auf dem Fußboden und flehte mich an, unterzutauchen. Tante Lydia marschierte in den Keller, um ein bisschen Pot zu holen. Ihr Kopf glänzte im Licht. Katie erklärte, sie würde lesbisch werden. Und ich hing nach einem heftigen Anfall von Angstkrankheit über der Toilettenschüssel.
    Selbst Alphy schien unruhig. Er bellte nicht einmal die Vögel an, die im Zimmer umherflatterten.
    Da »Kahlheit« als Tribut an Tante Lydias Glatze das Motto des Abends war, hatte sie darauf bestanden, dass jede Frau etwas zu essen mitbrachte, das »kahl« war.
    Zuerst waren Katie, Caroline und ich ratlos, aber nicht lange. Da ich für das Süße zuständig war, machte ich flache runde Schokoladenplätzchen, die ich, symbolisch für jede von uns Frauen, mit Zuckerguss in verschiedenen Farben überzog. Tante Lydias Plätzchen hatten blaue Augen, einen schwarzen Schal um den Hals, der die Bakterien abhielt, und gelbe T-Shirts von der

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