Spiel mir das Lied vom Glück
Augenwinkeln. Er war der Marlboro-Mann. Ich schätzte ihn auf gute vierzig.
»Wäre eine Ehre für mich, wenn ein Schwein nach mir benannt würde, Lydia.« Er schaute mich an, dann wieder Tante Lydia. »Da freue ich mich sogar drauf! Stell mich draußen neben Stash.« Wieder sah er zu mir herüber.
Na, klasse
, dachte ich.
Wunderbar!
Ich musste wohl noch schlimmer aussehen, als ich gedacht hatte. Vielleicht fiel ihm der Dreck an meiner Kleidung ins Auge. Oder das verfilzte
Haar? Vielleicht roch ich nach Hühnerkacke? Oder hatte ich ein Huhn auf dem Kopf sitzen? Mit Sicherheit eine schöne Dekoration zu den blauen Flecken auf meiner Wange und um mein Auge, die noch immer deutlich zu sehen waren. Ich zupfte an meinem Haar und merkte, dass Stash mich lächelnd ansah. Er zwinkerte mir zu.
»Ha!« Lydia löste sich von dem Riesen. »Niemals! Die Stelle ist ganz allein für Stash reserviert, der wieder mal ohne Einladung in mein Haus gekommen ist. Schon gut! Du hast einen der liebsten Menschen mitgebracht, den ich kenne, deshalb« – sie schlug Stash auf den Hintern – »vergebe ich dir noch einmal. Und du hast meine Auflaufform zurückgebracht? Na, endlich. Dean, das hier ist meine wunderbare Nichte Julia Bennett. Sie wird eine Weile hierbleiben. Hoffentlich für immer.«
In null Komma nichts hatte Dean Garrett die Küche durchquert, seine langen Beine stapften voran wie ein Traktor. Für einen so großen Mann, dessen Schultern so breit waren wie ein Klavier, bewegte er sich ziemlich gewandt.
»Miss Bennett.« Er nahm meine Hand in seine. Sie verschwand darin. Mein rechter Arm sah aus wie abgehackt. Mein Herz schlug schneller. O Gott. Jetzt bloß keinen Anfall bekommen! Nicht jetzt, wo ich mit Hühnerdreck beschmiert war und die Hand eines blauäugigen Mannes hielt, der mir bis in die Seele blickte und all meine Geheimnisse sah.
»Mr. … Mr. –« Ich hatte seinen Namen vergessen.
»Dean Garrett. Ich freue mich unheimlich, Sie kennenzulernen.«
Würde mich auch freuen, wenn ich atmen könnte
, dachte ich. »Ja. Natürlich. Ich meine, ja, ich genieße es auch, Sie kennenzulernen.« Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
Ich genieße es?
Es hörte sich an, als wäre ich mit ihm im Bett. Ich machte einen neuen Anlauf. »Es freut mich auch, Mr.Dean.«
Er hatte eine tiefe, raue Stimme, wie Kieselsteine.
Ich hörte, wie Stash hustete, um ein Schmunzeln zu überspielen, aber ich konnte ihn nicht sehen. Das Einzige im Umkreis von einer Meile, das ich sehen konnte, war dieser Mann. Und je länger er mich anschaute, je länger seine Hand die meine umschloss wie eine Wärmflasche, je länger ich von diesen blauen Augen gebannt war, die mir mit Röntgenblick in die Seele sahen, desto mehr titschte mein Herz herum wie eine Flipperkugel.
Ein Mundwinkel zog sich hoch zu einem Lächeln. »Lydia muss Sie ja in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geholt haben, um ihr bei den Hühnern zu helfen.«
Noch immer hielt er meine Hand.
»Nein. Ich meine, ja, ich habe bei den Hühnern geholfen. Ja.«
»Julia ist gerade erst aus dem Osten rübergekommen. Ist endlich zur Vernunft gekommen«, sagte Tante Lydia. »Sie hat dort in einer Galerie gearbeitet.«
Dean Garrett nickte. »Das ist ja interessant. Was sind Ihre Lieblingskünstler?«
»Meine Lieblingskünstler?« Ich machte den Fehler, auf seine Lippen zu schauen. Die obere war schmal, die untere voll. Sehr voll. Küssenswert.
Pssst
. »Ähm. Ich … äh, Entschuldigung. Wie war die Frage nochmal?«
Er grinste. »Was sind Ihre Lieblingskünstler?«
Ach, so. Gut. Künstler, damit kannte ich mich aus. »Van Gogh, Vermeer, Faith Ringgold. Bev Doolittle, Katherine Ace. Adriene Cruz.«
Wieder lächelte er mich an, dann ließ er meine Hand los. Die Wärme war fort. Ich musste schlucken. Hätte ich einen großen Adamsapfel, hätte er mich jetzt zweifellos bloßgestellt.
»Und Ihre?«
»Ich bin für Picasso und den Fotografen Ansel Adams.«
Ich nickte. Klug geantwortet. Immer noch schaute ich ihn an. Ein Mann voller Testosteron. Hör auf, Julia, hör auf, flehte
ich mich an. Du bist gerade vor einem Mann geflohen, jetzt sieh dich nicht schon nach dem nächsten um.
Ich beschloss zu verschwinden.
»Wenn ihr mich entschuldigen würdet … ich muss … ähm, ich muss duschen gehen.«
Wieso sagte ich etwas so
Nacktes
? Ich konnte Dean Garrett nicht in die Augen sehen. »Ich war bei den Hühnern und … « Na, super. Das klang fast schon anzüglich:
Ich war bei den
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