Spiel mir das Lied vom Glück
versunken – legte ich zu meiner größten Verlegenheit den Kopf aufs Lenkrad und weinte.
Nach einem Frühstück aus Omeletts mit Shrimps und Avocados, Cranberrymuffins und Schinken tranken wir die zweite Tasse Kaffee an einem Holztisch in der Essecke seiner Küche.
Draußen war die Sonne aufgegangen, wie pures Gold. Die blauviolette Dämmerung war so zart wie die Flügel von Tante Lydias Ladys.
»Unglaublich, dass du dir gemerkt hast, dass ich nur koffeinfreien Kaffee trinke. Und dass ich am liebsten Mokka mag«, sagte ich. Dean lächelte mich an. Sein Lächeln schlängelte sich durch meine Brust nach unten in den intimen Bereich, der sich schon so lange tot anfühlte. Ich bemühte mich, meine Zunge nicht zu verschlucken. Ganz schön schwer.
»Ich habe nichts von dem vergessen, was du mir erzählt hast.«
Ach, du liebes bisschen! Das war nicht gut.
»Aber ich hoffe, Julia, dass ich nicht immer im Morgengrauen aufstehen muss, um dich zu sehen.«
Ich lächelte ihn an. Ich konnte nicht anders.
»Nicht dass es mir etwas ausmachen würde«, scherzte er. »Ich unterhalte mich gerne mit dir.«
Ich mich auch. Mit dir, meine ich. Nachdem ich ihm im Dunkeln die Zeitung überreicht hatte, hatten wir unsere Witze gemacht und über viele, viele Dinge gesprochen.
Über mich selbst hatte ich ihm nicht viel erzählt, hatte aber das Gefühl, dass er bereits so einiges über meine Vergangenheit wusste.
»Ich muss sagen, dass ich schon sehr lange keine Frau mehr zu irgendetwas eingeladen habe, aber früher hat nie eine angefangen zu weinen.« Er lächelte mich an. Sein Blick war so sanft. »Warum hast du geweint?«
Was sollte ich sagen?
Ich hatte geweint, weil ich nicht glauben konnte, dass ein Mann wie Dean Garrett mit mir frühstücken wollte, und weil ich mir keinen Grund vorstellen konnte, warum er zwei Wochen lang jeden Morgen bei Tagesanbruch an seiner Zufahrt auf mich wartete.
Ich hatte geweint, weil ich manchmal kaum Luft bekam und es leid war. Erst wenn man solche Probleme gehabt hat, weiß man, wie herrlich das Atmen ist.
Ich hatte geweint, weil ich an einer furchtbaren Krankheit litt und mir wahrscheinlich bald jemand sagen würde, dass ich nur noch sechs Monate zu leben hätte.
Ich hatte geweint, weil ich Angst vor Robert hatte. Weil ich erst am Morgen des Hochzeitstages den Mut gehabt hatte, einen Schlussstrich zu ziehen, denn ich war wirklich groß darin, mir eine beschissene Lage schönzureden.
Ich hatte geweint, weil einem schnell die Tränen in die Augen schießen, wenn man ein kaputtes Leben hat und jemand nett zu einem ist.
Schon wieder spürte ich, wie die Tränen in mir aufstiegen.
Dean Garrett streckte die Hand auf dem Tisch aus und verschränkte seine Finger mit meinen.
»Warum, Julia? Ich verspreche dir, dass ich nicht mehr am Briefkasten lauere, wenn du es mir sagst. Ach, nein, vergiss es!« Er streichelte meine Hand. »Die Morgende am Briefkasten haben mir nämlich gut gefallen. Sag mir doch bitte, warum du geweint hast.«
Und wieder flossen Tränen, ohne dass ich es wollte.
Was sollte ich sagen? Die Wahrheit? Auf keinen Fall. Niemals. Ich betrachtete die glatten Flächen seines Gesichts, die Fältchen um die Augen und die Furchen um seinen Mund. Ich betrachtete seinen Hals, sein Haar, seine blauen Augen.
»Ich habe geweint, weil –« Ich verstummte.
»Weil was?«
»Ähm … « Ich tupfte mir mit einer Serviette die Augen trocken.
»Ich –«
»Ja?«
Bebend holte ich Luft. Dann sah ich ihm in die Augen. »Ich hatte Angst, du würdest den Speck anbrennen lassen.«
Er umfasste meine Hand fester. Und ich seine.
Und dann lachte er.
Ich fiel ein. Der Klang meines Lachens war fremd in meinen Ohren. Dann rannen erneut meine Tränen auf unsere verschränkten Hände.
10
Wie geht’s dir, Katie?«
Katie schaute stur geradeaus, den Blick starr auf die kurvige Straße gerichtet. Über uns wiegten sich Tannen, hin und wieder sah man einen kleinen See, auf dem die Sonne glitzernde Sterne aufs Wasser warf.
Tante Lydia hatte sich erboten, auf Katies Kinder aufzupassen, während ich mit ihr J. D. aus dem Krankenhaus abholte. Vor fünf Tagen hatte sie den Anruf erhalten, man habe seinen Wagen in einem Graben gefunden, und J. D. sei darin eingesperrt gewesen, ein Bein habe zwischen der eingedrückten Tür und dem Lenkrad festgeklemmt. Doch Katie hatte ihren Mann nicht besucht.
Nach der Position des Wagens zu urteilen, folgerte die Polizei, dass er nicht auf dem Weg nach Golden gewesen
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