Spiel mir das Lied vom Glück
wurden, deren Fahrer uns wütende Blicke zuwarfen.
»Abends haben wir auch mal etwas Einfaches gegessen. Es musste nicht Gemüse, Obst, Hauptgang und Nachtisch sein, wie J. D. immer verlangt. Wir haben einfach Makkaroni mit Käse gegessen. Oder Käse-Sandwiches. Oder Nudeln mit Tomatensauce. Alle waren glücklich. Ich habe aufgeräumt. Dann haben wir Geschichten gelesen, und anschließend ging’s ab ins Bett. Pünktlich. Bei J. D. mussten die Kinder manchmal so lange aufbleiben, bis sie Bibelverse auswendig gelernt hatten. Dieser Heuchler! Immer stellte er sich als frommen Christen dar, aber ich kenne keinen, der den Kindern mehr den Spaß an der Bibel verdorben hätte als J. D.«
Katie schluckte, und ihre Stimme wurde härter. »Wenn sie ihre Verse vergessen hatten, schlug er ihnen manchmal auf den Kopf. Dann riss ich ihm die Bibel aus der Hand, und er ließ seine Wut an mir aus. Je betrunkener er war, desto böser wurde er. Aus irgendeinem Grund schlug er mir besonders gerne mit der Bibel auf den Hintern.«
Wir hielten am Straßenrand. Die Berge in der Ferne waren bläulich violett, an der anderen Seite der Straße plätscherte ein Bach. »Für den Gottesdienst sonntags machte er sich immer richtig fein mit Jackett und Krawatte und verlangte, dass die Kinder gut angezogen waren. Ich musste das Frühstück machen, er setzte sich an den gedeckten Tisch und las Zeitung. Anschließend hockte er sich ins Auto und drückte auf die Hupe, bis ich die Kinder fertig hatte. ›Du willst doch nicht schon wieder dieses Kleid anziehen, Katie?‹, sagte er dann. Er konnte das Kleid nicht ausstehen, aber ich hatte kein Geld, um mir ein neues zu kaufen. Er versoff ja alles. Wenn ich mal Geld versteckte, dann fand er es, als hätte er ein zusätzliches Auge, das den ganzen Tag in unserem Haus lauerte, während er unterwegs war und soff und jede Frau bumste, die nicht vor ihm davonlief.«
Katie stellte den Motor ab.
»Katie –«
»Ich glaube, in den letzten fünf Jahren hat J. D. kein freundliches Wort zu mir gesagt. Er sieht in mir gar keinen Menschen oder eine Frau mehr. Wir sind verheiratet, und damit hat sich’s. Die alte Katie ist halt da. Die will doch sonst keiner haben. Ich habe die Aufgabe, ihn zu bedienen. Selbst wenn ich total fertig in der Küche auf dem Boden läge, selbst wenn ich sterben würde, würde er einfach über mich wegsteigen, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen, und mich beschimpfen, weil ich es ihm nicht bringe.«
»Katie –«
»Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Affäre zu verbergen, Julia. Einmal hatte er abends Lippenstift auf der Wange. War ihm egal. Auch wenn ich sah, dass er auf dem Handy telefonierte und seinen Spaß hatte. Ich sollte den ganzen Tag arbeiten und für Kinder und Haus sorgen. Ihm war egal, wenn es mir dreckig ging.«
Katie holte tief Luft und wischte sich die Tränen von der Wange. »In diesen Tagen ohne ihn bin ich viel glücklicher gewesen als vorher. Ich habe sieben Pfund abgenommen, habe ich das schon erzählt?« Sie lächelte mich an, und vor Hoffnung wurden ihre Augen ganz groß. Ihr Lächeln war zurückhaltend. »Sieben Pfund! Vorgestern habe ich sieben Pfund Äpfel im Supermarkt abgewogen und in die Tüte getan, nur um zu sehen, wie schwer die sind. Das ist eine Menge, Julia!«
»Stimmt. Das ist wirklich toll!« Ich freute mich für Katie und war gleichzeitig furchtbar traurig. Warum wollten wir diesen erbärmlichen Penner überhaupt abholen? »Bist du sicher –?«
»Ja. Bin ich. Ich kann es nicht. Ich kann es wirklich nicht.«
Ich hielt die Luft an. »Was kannst du nicht?«
»Ich kann nicht mehr zulassen, dass der Hass mein Leben bestimmt.«
Eine Weile schwiegen wir beide. Die Bäume auf den Bergen wiegten sich im Wind. Der Bach plätscherte vor sich hin.
»Hass ist furchtbar«, sagte ich. Manchmal gab ich so dermaßen hohle Sätze von mir, dass ich mich ohrfeigen konnte.
»Ja. Ich hasse J. D. nicht mehr. Darüber bin ich hinweg«, sagte Katie resigniert. »Aber eins regt mich wirklich auf: Dass er mich dazu gebracht hat, mich selbst zu hassen, und dass die Kinder ihn hassen. Durch ihn wissen die Kinder, dass es ein so starkes Gefühl wie Hass gibt.«
Solche Gedanken waren mir nicht fremd. Warum ließen wir uns von Männern einreden, dass wir uns selbst hassten? Und warum brauchten wir oft so lange, um sie aus unserem Leben zu verbannen? Warum klammerten wir uns an sie? Warum hatten wir solche Angst vorm Alleinsein, wenn zu Hause
Weitere Kostenlose Bücher