Spiel mit dem Feuer
Kultur,
nur eine leise Neugier, warum sie ihr Volk verlassen hatte, um die
fromm-katholische Frau eines viel älteren weißen Mannes zu werden. Wie kam es,
dass jemand einen so lebendigen Zugang zu seinem Erbe hatte? Und die akutere
Frage: Wie kam es zu diesem gefährlichen Maß an spontaner Nähe zwischen Russ
und mir?
Ich hatte seit Stunden gegen dieses
Gefühl angekämpft — seit sich dort oben auf den Klippen diese Distanz zwischen
Hy und mir aufgetan hatte — aber jetzt ließ ich es an mich heran. Ich sah Russ
auf dem Pilotensitz des Hubschraubers, sah ihn das Steuerwerk mit solcher
Präzision bedienen. Sah ihn den Kopf in den Nacken werfen und lachen, während
wir über die Gipfel emporstiegen. Fühlte seine starke Hand auf meinem Knie und
hörte ihn sagen: »Ist nur die Aloha-Mentalität, schöne Frau.«
Es war mehr als nur das, und wir
wussten es beide.
Gott, ich durfte dem nicht nachgeben!
Hy war all das, was Tanner nicht war, und mehr — ein Mann, den das Leben zu
einem so wunderbaren Menschen geformt hatte. Er hatte seine Kindheit damit
verbracht, zwischen zwei wichtigen Polen hin- und herzupendeln — seinem Vater,
einem Sprühflugzeug-Piloten, der ihm das Fliegen beigebracht hatte, sobald er
alt genug gewesen war, um die Ruder zu erreichen, und seiner Mutter nebst
zweitem Ehemann, der ihn gelehrt hatte, wie man Streit schlichtete. Schlimme
neun Jahre als Charterpilot im kriegsgebeutelten Südostasien, der frühe Tod
seiner Frau, der psychisch oft sehr belastende Einsatz für Menschenrechte und
Umweltschutz — das alles hatte ihn stark und mitfühlend gemacht. Okay, zu
seinem kulturellen Erbe hatte er nicht diesen Zugang, obwohl er Russisch
konnte. Aber er hatte Zugang zu mir, zu meiner Art zu denken und zu fühlen.
Ich trank meinen Wein aus und wurde
plötzlich sehr müde. Im Buschwerk am anderen Ende des Rasens raschelte etwas.
Bewegte sich langsam und verstohlen durch das Dunkel. Daheim in San Francisco
oder bei unserem Häuschen, das wir Touchstone nannten, hätte mich ein solches
Geräusch sofort in Alarmbereitschaft versetzt. Hier jedoch vermochte es mich
nicht zu erschrecken.
Nicht hier, in diesem Land, wo die
Vergangenheit in der Gegenwart fortexistierte. Wo die Geister ungehindert durch
die warme, duftende Nacht streiften.
5. APRIL
Kauai
10
Uhr 28
Elson Wellbright tritt aus dem
Brotfruchthain hinaus in die Sonne. Er geht auf den Heiau zu...
Und eine Gestalt, die im Drehbuch nicht
vorkam, rannte von links ins Bild. Eine hoch gewachsene, schlanke Frau in einem
losen, himmelblauen Kleid. Ihr langes Silberhaar löste sich aus dem Knoten und
flatterte. Ihr Gesicht war schock-, angst- und wutverzerrt. Mit vorgestreckten
Armen witschte sie um Eli Hathaway herum, der sie zu packen versuchte, aber sie
war schon weg — prallte von dem RKI-Mann zurück, stürzte auf die Klippenkante
zu.
Als Celia Wellbright über die Klippe
verschwand, verlor sich das Blau ihres Kleids in dem des Himmels.
»Übersehen wir irgendwas?«, fragte ich
Hy, nachdem wir zum dritten Mal das Video betrachtet und das Drehbuch studiert
hatten.
»Ich glaube nicht, dass es da was zu
sehen gibt. Celia rastet aus, rennt blindlings los und stürzt sich zu Tode.«
»Aber warum?«
»Weiß der Himmel.«
»Ich wollte, ich wäre dort gewesen. Ich
hätte ein Auge auf sie gehabt. Vielleicht hat ja jemand was gesagt oder getan,
was sie dazu getrieben hat.«
»McCone, du hättest kein Auge auf sie
gehabt, weil du nicht gewusst hättest, was passieren würde.« Hys Stimme
knisterte vor Ungeduld. »Und ich glaube nicht, dass jemand was gesagt oder
getan hat. Sie waren alle drauf konzentriert, die Szene in den Kasten zu
kriegen.«
Ich antwortete nicht, sondern stand auf
und schaltete Fernseher und Videogerät ab. Hy war heute Morgen grässlicher
Laune, schon die ganze Zeit, seit ich ihm erzählt hatte, dass ich für Peter
weiter arbeiten würde.
Er schien seinen Ton selbst bemerkt zu
haben, denn er sagte jetzt versöhnlich: »Also, was steht für heute auf deinem
Plan?«
»Tausend Dinge, angefangen mit der
Ablieferung dieses Videos auf der Polizeiwache und dem Versuch, einen Termin
mit Sue Kamuela zu machen. Und auf deinem?«
»Mein Job hier ist beendet. Ich
schwinge mich jetzt in die Lüfte.«
»Mit Tanner?«
»Erraten. Er sagt, noch zwei, drei
Flugstunden, und er kann meinen Hubschrauberschein erneuern.«
Ein Schein, den Hy wahrscheinlich
wieder jahrelang nicht nutzen würde, aber warum sollte er ihn nicht
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