Spiel mit dem Mörder
eine heiße Röte in die Wangen, die jedoch ebenso schnell wieder verflog. »Nein. Was auch immer er gewusst oder vermutet hat, hätte er doch niemals einen Mord begangen. Ich sage Ihnen, der Angriff auf Richard vor vierundzwanzig Jahren war etwas Spontanes, er hat sich in einer Situation des Zorns auf ihn gestürzt. Sie haben gesagt, dass die Geschichte zwischen Richard und der jungen Frau bereits vor seiner Ermordung vorbei gewesen ist. Kenneth hätte niemals dauerhaft deshalb einen Groll gegen Richard gehegt. Das hätte er nie geschafft.«
»Vielleicht nicht. Vielleicht nicht ohne Hilfe. Aber vielleicht hat ja irgendjemand diesen Groll weiterhin genährt. Wo waren Sie am Abend des fünfundzwanzigsten März?«
»Ah. Ich verstehe. Ich verstehe«, meinte Anja leise und faltete die Hände. »Ich glaube, ich war zu Hause. Und zwar ganz allein.«
»Sie haben an dem Abend niemanden gesehen, mit niemandem gesprochen?«
»Soweit ich mich entsinne, nicht. Allerdings wüsste ich nicht, wie ich beweisen könnte, dass es so gewesen ist.«
»Wie steht es mit Ihrer Familie, Ms Carvell?«
»Ich habe keine. Ich kann Ihnen nur mein Wort geben, dass ich nicht von Montreal nach New York gereist bin, um mich an einer Verschwörung zu beteiligen, deren Ziel Richards Ermordung gewesen ist.« Abermals erhob sie sich von ihrem Platz. »Lieutenant, ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt erreicht, an dem ich gerne einen Anwalt sprechen würde. Bis ich das getan habe, habe ich Ihnen nichts mehr in dieser Angelegenheit zu sagen.«
»Das ist Ihr gutes Recht. Danke für Ihre Kooperation. Peabody, schalten Sie bitte den Rekorder aus.«
»Wären Sie vielleicht so nett, mir zu sagen, in welchem Krankenhaus der arme Kenneth liegt? Ich würde gern dort anrufen und mich erkundigen, wie es ihm geht.«
»Er liegt im Roosevelt.« Eve stand auf und wandte sich zum Gehen. »Ihr Anwalt kann mich auf dem Hauptrevier erreichen, falls er mit mir sprechen will.«
»Sehr gut.« Anja brachte sie zur Tür.
»Guten Tag, Lieutenant«, meinte sie leise, schloss, als Eve und Peabody gegangen waren, sorgfältig hinter ihnen ab, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und fing lautlos an zu weinen.
»Was hatten Sie für einen Eindruck, Peabody?«
»Cool, weltgewandt und selbstsicher. Entweder glaubt sie tatsächlich, dass Stiles unschuldig ist, oder sie ist fest entschlossen, ihn zu schützen. Ihre Sorge um ihn hat echt auf mich gewirkt. Carly hingegen war ihr offensichtlich völlig egal.«
Stirnrunzelnd glitt Eve hinter das Lenkrad ihres Wagens. »Sollte sie denn Interesse an ihr haben?«
»Tja, ich denke halt, dass es eine, Sie wissen schon, emotionale Bindung geben sollte.«
»Warum? Sie war mit dem Mädchen schwanger und hat es auf die Welt gebracht, hatte also gerade mal neun Monate mit ihm zu tun. Wie sollte da also eine emotionale Bindung zwischen den beiden entstehen?«
»Dadurch, dass das Baby in ihrem Bauch gewachsen ist. Sie hat seine Tritte und Bewegungen gespürt und … Ich weiß nicht, Dallas. Ich bin nie schwanger gewesen. Ich spreche also weniger aus eigener Erfahrung als aus einem bloßen Gefühl heraus.«
Peabody rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz herum. Die Atmosphäre im Fahrzeug war erschreckend düster. Sie hatte keine Ahnung, was sie davon halten sollte, und warf einen vorsichtigen Blick auf Eve, die grüblerisch vor sich auf die Straße sah. »Wenn das stimmt, was sie uns erzählt hat«, wagte sich Peabody behutsam weiter vor. »Dann hat sie das Baby einfach fortgegeben und mit ihrem Leben weitergemacht, als wäre nie etwas passiert. Aber ich kann irgendwie nicht glauben, dass es so einfach war. Ich dachte, Sie gingen davon aus, dass sie an dem Mord beteiligt war.«
»Das halte ich nach wie vor für möglich.« Allerdings hatte das Gespräch mit Anja sie derart aus dem Gleichgewicht gebracht, dass sie etwas übersehen hatte, und deshalb meinte sie: »Gehen Sie noch mal rein und finden Sie heraus, wann die Carvell eingezogen ist, ob sie vorher reserviert hat und wie lange sie bleiben will.«
»Okay.« Erleichtert stieg Peabody wieder aus dem Wagen aus.
Welche Frau schläft wohl freiwillig mit ihrem eigenen Vater?
Eve hatte einen dicken Kloß im Magen, seit diese Frage aufgetaucht war. Was, wenn sie keine Wahl hatte? Was dann? Sie warf ihren Kopf nach hinten und drehte die Frage herum. Welcher Mann schlief wohl freiwillig mit seiner eigenen Tochter?
Die Antwort darauf war ihr schmerzlich bekannt. Sie kannte diese Art von
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