Spiel mit dem Tod
öffnete den Kühlschrank, blickte hinein, dann sah sie wie der zu Spencer. „Kaffee hilft heute Nacht nicht weiter. Jedenfalls bei mir nicht.“ Sie hielt eine Flasche Bier hoch. „Wie steht’s mit Ihnen?“
Er trat hinzu, griff zustimmend nach der Flasche und öffnete sie zischend. „Danke.“
Sie tat es ihm nach und trank einen Schluck. „Das habe ich gebraucht.“
„Anstrengender Abend.“
„Anstrengendes Jahr.“
Nach einem Anruf bei der Polizei in Dallas wusste er inzwischen ein wenig mehr über ihre Vergangenheit. Sie war zehn Jahre bei der Kripo gewesen. Hoch angesehen innerhalb der Dienststelle. Hatte plötzlich den Job aufgegeben, nachdem sie einen großen Fall geknackt hatte, in den ihre Schwester Jane verwickelt gewesen war. Der Captain, mit dem er sprach, deutete an, dass es persönliche Gründe für ihre Entscheidung gegeben habe, ging aber nicht näher darauf ein. Spencer hakte auch nicht weiter nach.
„Wollen Sie darüber reden?“
„Nein.“ Sie nahm noch einen Schluck.
„Warum haben Sie die Polizei verlassen?“
„Wie ich schon Ihrem Partner gesagt habe, ich brauchte eine Veränderung.“
Er rollte die Flasche zwischen den Handflächen hin und her. „Hatte das irgendwas mit Ihrer Schwester zu tun?“
Jane Westbrook. Stacys einzige Schwester, ihre Halbschwester. Ziemlich bekannte Künstlerin. Das Ziel eines mörderischen Plans. Eines Plans, der fast zum Erfolg geführt hätte.
„Sie haben meine Vergangenheit überprüft.“
„Natürlich.“
„Die Antwort auf Ihre Frage ist Nein. Die Polizei zu verlassen hatte was mit mir zu tun.“
Er setzte die Flasche an die Lippen und trank, ohne den Blick von ihr zu lösen.
Sie runzelte die Stirn. „Was ist?“
„Haben Sie schon mal den Spruch gehört, du kannst den Cop von seinem Job trennen, aber den Job nicht vom Cop?“
„Ja, hab ich. Ich gebe nicht viel auf alte Redensarten.“
„Vielleicht sollten Sie das aber.“
Sie blickte auf ihre Uhr. „Es ist spät.“
„Das ist es.“ Er nahm noch einen Schluck Bier und ignorierte ihren nicht sehr subtilen Rausschmissversuch. Er ließ sich Zeit damit, die Flasche auszutrinken. Dann stellte er sie sorgfältig auf den Tisch und stand auf.
Sie verschränkte ärgerlich die Arme vor der Brust. „Ich dachte, Sie wollten meine Geschichte noch mal hören?“
„Das war gelogen.“ Er griff nach seiner Lederjacke. „Danke für das Bier.“
Sie schnaufte. Konnte es nicht fassen, wie Spencer amüsiert vermutete. Er verkniff sich ein Grinsen, dann wandte er sich an der Tür noch mal zu ihr um. „Sie sind womöglich gar nicht so übel, Kilian.“
16. KAPITEL
Samstag, 5. März 2005
11:00 Uhr
Stacy hatte alle Mühe, sich auf den Text zu konzentrieren. John Keats’ „Ode an die Psyche“. Sie hatte sich zu einem Studium der Romantiker entschlossen, weil deren Empfindsamkeit so wenig mit der heutigen Zeit zu tun hatte – und so weit entfernt war von der brutalen Realität, mit der sie in den vergangenen zehn Jahren so viel zu tun gehabt hatte.
Heute allerdings erschien ihr das Gedicht über Schönheit und spirituelle Liebe überzogen und total albern.
Sie fühlte sich zerschlagen, wusste aber nicht genau, warum. Bis auf ein paar blaue Flecken hatte ihr der Mann keine Verletzungen zugefügt. Und dank des Adrenalinstoßes hatte sie nicht einmal Angst gehabt. Ihr war der Gedanke, sie könne der Situation nicht gewachsen sein, gar nicht erst gekommen.
Also warum jetzt das große Zittern?
Halte dich raus. Oder ich werde es dir besorgen.
Eine Warnung. Sie war jemandem äußerst unbequem geworden.
Aber wem? Bobby Gautreaux? Das konnte sie sich nicht vorstellen, die Polizei hatte ihn schließlich bereits im Visier. Einem anderen, mit dem sie über White Rabbit gesprochen hatte? Ja. Aber wem?
Die Cops würden keine große Hilfe sein. Sie waren davon überzeugt, dass es sich um den Mann handelte, der die Studentinnen vergewaltigt hatte. Das konnte sie ihnen im Grunde nicht verübeln. Die Vorgehensweise dieses Übergriffs war mit dem Hergang der Vergewaltigung ihrer Kommilitoninnen fast identisch gewesen. Sie erinnerte sich daran, was man ihr erzählt hatte. Großer Typ, seine Opfer waren Frauen, die sich spätabends allein auf dem Unigelände aufhielten, er überfiel sie von hinten. Sie hatten ihm den Spitznamen Romeo gegeben, weil er den Frauen irgendwelche süßlichen Sprüche ins Ohr murmelte. Sachen wie „Ich liebe dich“, „Wir werden für immer zusammen sein“, und das
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