Spiel mit dem Tod
sich wieder an seine Tochter. „Die Polizei bat uns, dabei zu helfen, einen Mörder zu überführen. Er nennt sich White Rabbit.“
„Deshalb waren sie mitten in der Nacht hier“, sagte Alice. „Weil jemand ermordet wurde.“
„Ja.“
Sie musterte ihre Eltern, als wollte sie abschätzen, inwieweit ihnen zu trauen war. „Aber warum soll ich wegfahren?“
Kay machte einen Schritt auf sie zu. „Weil dein Vater … er könnte vielleicht … er ist …“
„Ist er in Gefahr?“ Plötzlich wirkte sie jünger als sechzehn, genauso verletzlich wie jedes andere Kind.
Leo umarmte sie. „Das wissen wir nicht genau, Süße. Aber wir wollen kein Risiko eingehen.“
Sie dachte darüber nach. „Bin ich in Gefahr?“
Jetzt meldete sich Spencer zu Wort. „Zurzeit gibt es keinen zwingenden Grund, das anzunehmen.“
Alice schwieg einen Moment. „Wenn ich nicht in Gefahr bin, warum soll ich dann weggeschickt werden? Für mich hört sich das so an, als wäre Dad derjenige, der sich besser überlegen sollte, abzuhauen.“
„Wir wollen dich keiner Gefahr aussetzen“, sagte Kay. „Wenn irgendein Verrückter deinen Vater als Zielscheibe ausgesucht …“
„Ich verlasse Dad nicht.“
Leo seufzte hilflos. Kay sah frustriert aus. Stacy konnte mit ihnen fühlen. Sie wandte sich an Spencer. „Meinen Sie, Alice ist hier zu Hause sicher?“
Er runzelte die Stirn, dann nickte er. „Im Moment schon. Das kann sich aber ändern.“
Stacy sah zu Alice. „Wenn das der Fall ist, würdest du dann mitfahren?“
„Vielleicht“, erwiderte sie. „Wir könnten darüber reden.“
Sie klang wie eine Erwachsene. Verstand genug besaß sie. Doch sie war ein Teenager. Und zwar einer, der sich in der realen Welt nicht auskannte.
Alice straffte die Schultern. „Ich möchte gern helfen. Was kann ich tun?“
Leo drückte ihr einen Kuss aufs Haar. „Meine Süße, ich bin sicher, die Polizei weiß dein Angebot zu schätzen, aber du bist …“
Stacy unterbrach ihn. Das Mädchen wusste genug, um sich zu fürchten. Zu helfen, würde ihr vielleicht die Angst nehmen.
„Detective Malone und ich haben eine Idee“, sagte sie. „Es ist etwas, bei dem du uns möglicherweise behilflich sein könntest, Alice.“
Das Mädchen drehte sich eifrig zu ihr um. Stacy ignorierte die schockierten Gesichter der Nobles. „Wir sind der Meinung, dass wir uns in den Typ hineinversetzen müssen. Er nennt sich der White Rabbit, also …“
„Sie wollen das Spiel mitspielen“, sagte Alice. „Natürlich. Welchen besseren Weg gibt es, um seine nächsten Schritte vorauszusehen?“
32. KAPITEL
Samstag, 12. März 2005
14:00 Uhr
Leo zögerte zunächst mitzuspielen, meinte, er hätte damit bereits vor Jahren aufgehört. Kay lehnte kategorisch ab. White Rabbit gehöre zu einer Zeit ihres Lebens, an die sie lieber nicht erinnert werden wolle.
Stacy versuchte, Leo umzustimmen, indem sie ihm erklärte, Alice habe völlig richtig erkannt, dass sie herausfinden könnten, mit wem sie es zu tun hatten, wenn sie sich in die Lage des Killers versetzten. Seine Denkweise nachzuvollziehen war ein Mittel, das so alt war wie das Verbrechen selbst und dessen Aufklärung, in den 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts vom FBI perfektioniert.
Dennoch war es am Ende Alice, die ihren Vater überzeugte. Sie hatte gebettelt, sie selbst wollte das Spiel einrichten. Sie sagte, es würde Spaß machen.
Hier war sie nun. Alice empfing sie an der Tür. Sie trug eine helle Flickenweste – ähnlich wie die des Kaninchens in Carrolls Geschichte.
„Schnell“, sagte das Mädchen, „wir sind spät dran. Sehr, sehr spät.“
Stacy wollte ihr gerade widersprechen – sie war nämlich pünktlich –, da wurde ihr klar, dass Alice bereits in ihre Rolle geschlüpft war.
„Folge mir … folge mir …“
Sie wandte sich um und ging schnell durch die Diele, um sie in die Küche zu führen. Es sah aus, als wäre in dem Raum ein Lieferwagen mit Snacks explodiert. Der Boden war mit Tüten und Schüsseln bedeckt, in denen sich alle möglichen Sorten von Knabberzeug befanden, dazwischen eine Kühlbox. Der Tisch war mit Limonade und Kaffee beladen.
Es klingelte erneut, und Alice rannte hinaus, um zu öffnen, während sie ständig etwas über die Zeit vor sich hin murmelte.
Einen Augenblick später kam sie zurück, gefolgt von Spencer, Tony und Leo. Sie hörte nicht auf, ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden zu klopfen, schimpfte leise und sah ständig auf ihre Uhr.
„Alice ist
Weitere Kostenlose Bücher