Spiel mit mir!: Roman (German Edition)
wieder, dass sie sich in Edwards Haus befand, konnte sich aber nicht erklären, wo der Lärm herrührte. Sie trug ihre Pyjamahose und ein knappes Top, daher zog sie sich ein Kapuzensweatshirt über und begab sich auf die Suche nach der Ursache für den Lärm.
Sie ging ins Wohnzimmer, wo Edward bereits durch einen Spalt zwischen den Vorhängen nach draußen spähte.
»Was ist denn da draußen los?«, wollte sie wissen. »Wo kommt dieser Krach her?«
»Harry Winters, dieser Hurensohn, verkauft sein Haus. Das Gehämmer stammt von seinem Makler, der gerade ein ›zu verkaufen‹ Schild aufstellt«, berichtete Edward.
»Wer ist Harry Winters? Ein Nachbar?«, fragte Amber.
»Der verdammt beste Nachbar, den man sich wünschen kann. Weißt du, warum? Weil er allein lebt und mich nicht belästigt. Er hat nie Gäste, und er hat auch keine Familie, die ihn besucht. Es war immer ruhig hier«, erläuterte Edward aufgebracht.
Amber verfolgte besorgt, wie er unruhig im Zimmer auf und ab tigerte. Zuweilen blieb er stehen, um aus dem Fenster zu seinem Nachbarn hinüber zu starren.
Amber versuchte, ihn zu beruhigen. »Ich würde mir deswegen nicht den Kopf zerbrechen … Das Angebot an Häusern ist im Moment groß. Ich glaube kaum, dass sich das Haus schnell verkaufen wird.«
Er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Aber es werden Leute kommen, um es sich anzuschauen, und sie werden mich sehen. Sie werden reden. Und dann geht es wieder los mit dem Fluch. Ich will nicht angeglotzt werden wie ein Zirkustier.«
Amber ließ sich in einen Sessel am Fenster fallen und hoffte, dass sie ihn beruhigen konnte. »Wenn man die Jujus abnehmen und die Totempfähle wegschaffen würde, käme gar niemand auf die Idee, dass es hier etwas zu reden gibt.«
»Bist du wahnsinnig? Wie soll ich mich denn dann vor dem Fluch schützen?«, empörte er sich lautstark. »Willst du wissen, was einem Corwin-Mann blüht, der sich nicht vorsieht?«
»Was denn?«, fragte sie gelassen. Sie war sich nicht sicher, ob ihr besänftigender Tonfall ihn beruhigen würde, aber es war einen Versuch wert.
»Genau das gleiche Schicksal wie seinen Vorfahren – früher oder später. Nehmen wir mal meinen Großvater. Er hat seine Frau geliebt. Bis er sie in flagranti mit dem Nachbarn im Bett erwischt hat, splitternackt. Wie die Karnickel haben es die beiden getrieben, hat er immer erzählt. Mein Großvater hat den Mistkerl abgeknallt, und meine Großmutter hatte an Ort und Stelle einen Herzinfarkt. Danach war Grandpa nie mehr der Alte.« Er legte sich die Hand auf die Brust, als hätte er Herzrasen, und sein gerötetes Gesicht ließ darauf schließen, dass sein Blutdruck wohl gerade durch die Decke ging.
»Das ist ja fast wie in einer Seifenoper«, murmelte Amber. Armer Edward. Was hatte diese Familie schon alles erleben müssen!
»Tja, aber für uns ist das die Wirklichkeit. Dann waren da meine Eltern. Hatten uns drei Jungs und waren glücklich. Dachten, sie hätten den Fluch ausgetrickst und wurden unvorsichtig. Bis ein fürchterlicher Sturm über die Küste hinweggefegt ist und praktisch die ganze Stadt ausgelöscht hat, einschließlich der Schmiedewerkstatt meines Vaters. Werkzeug, Ausrüstung, Gebäude, alles weg.« Edward wedelte mit der Hand in der Luft herum.
Amber beschloss, es diesmal mit einer rationalen Erklärung zu versuchen. »Sind solche Stürme an der Ostküste denn nicht relativ häufig?«, fragte sie sanft, um ihn nicht noch mehr aufzuregen.
»Ja, ja, diese Erklärung hör ich oft. Gabrielle kommt mir auch immer mit solchen Argumenten. Höhere Gewalt, niemand ist schuld, es gibt keinen Fluch, bla, bla, bla.« Er hatte das alles offenbar schon unzählige Male gehört. »Der Sturm hat am späten Nachmittag zugeschlagen. Wir waren alle schon von der Schule zurück. Nur mein Vater war in seiner Werkstatt. Mom hat sich Sorgen um ihn gemacht, also hat sie uns bei meiner Großmutter zurückgelassen, um nach ihm zu sehen. Wir haben sie nie wieder gesehen. Sie hatte keine Chance. Ertrunken. Eine Flutwelle hat sie erwischt.« Edward wandte das Gesicht ab.
Doch Amber hatte den Kummer und die Furcht in den Augen des alten Mannes deutlich gesehen. Nun war ihr klar, warum er so unerschütterlich an den Fluch glaubte. Eine derart tragische Familiengeschichte musste ja Auswirkungen auf die Psyche haben, da brauchte man noch nicht einmal sonderlich labil zu sein. Dazu kam, dass auch
Weitere Kostenlose Bücher