Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
ihnendiese Grundrecht nehmen würde, dann würde man sie dadurch abwerten und sich selbst gleich mit.
Vor seinem inneren Auge formten sich düstere Bilder. Er sah Josephine als Baby, als Kleinkind und als Kind. Josey hatte bei ihrem letzten Besuch schon fast wie eine junge Frau ausgesehen und ihn voller Verachtung angesehen. Mit jeder ihrer Gesten hatte sie ihn zurückgewiesen und ihm gezeigt, dass sie nicht von ihm berührt werden wollte.
Wie lange war es her, seit er sie umarmt und berührt hatte? Seit er ihr gezeigt hatte, wie sehr er sie liebte und schätzte?
Aber sie wollte seine Liebe nicht. Sie hatte sie noch nie gewollt. Schon als kleines Kind hatte sie sich von ihm abgewandt und ihn damit als Vater zurückgewiesen.
„Du bist nicht mein Vater“, hatte sie ihn einmal angeschrien. „Ich habe keinen Vater, und ich will auch gar keinen haben.“
Aber sie war sein Kind.
Ohne es zu beabsichtigen und vollkommen unbewusst, fragte er sich, wie Davina sich in seiner Lage verhalten würde. Wieso stellte er sich überhaupt diese Frage?
Auf dem Tisch lag ein Notizblock. Er setzte sich hin und schrieb rasch. Dann faltete er das Blatt zusammen, bevor er auf dem nächsten Blatt weiterschrieb.
Auf dem Schreibtisch fand er einen Umschlag, und er steckte den Brief hinein und klebte ihn zu. Dann legte er ihn zusammen mit einer zweiten Notiz mitten auf den Küchentisch, wo Christie ihn nicht übersehen konnte.
Das alles hat gar keinen Sinn, sagte er sich, während er in seinen Wagen stieg. Auf keinen Fall. Wahrscheinlich verlor er seine Stellung und ruinierte seine Karriere. Er durchbrach alle Regeln, die er sich selbst gesetzt hatte. Immer hatte er sich danach gerichtet, eine Aufgabe bis zum Ende durchzuführen, und er war niemals von seinem Weg abgewichen.
Und Josephine konnte er mit alledem sicher auch nicht helfen. Sie würde sich bestimmt weigern, ihn zu sehen, und das würde bedeuten, dass er sich gleich wieder in sein Auto setzen und zurück nach Chester fahren konnte.
Dennoch fuhr er in Richtung Autobahn und versuchte krampfhaft, nicht darauf zu achten, was er aus dem gleichförmigen Geräusch der Reifen auf dem Asphalt heraushörte: „Deine Schuld, deine Schuld, deine Schuld …“
Christie war keine nervöse Frau, und sie war auch selten verlegen, aber sie hatte ihr Selbstbewusstsein nicht einfach erlangt. Und als sie das Hotel betrat, fiel ihr schlagartig eine Begebenheit aus ihrer Kindheit ein. Ihre Mutter hatte sie zum Einkaufen mitgenommen und mit ihr zusammen ihren Vater von der Arbeit abgeholt.
Sie erinnerte sich, wie aufgeregt sie damals gewesen war. Aufgeregt und stolz. Sie hatten vor dem Gebäude auf ihn gewartet. Am liebsten wäre sie hineingegangen, aber ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass ihr Vater es nicht mochte, bei der Arbeit gestört zu werden.
Christie hatte gewusst, dass das nicht stimmte. Saul hatte oft die Samstagvormittage bei ihrem Vater im Büro verbracht, doch das war ihr niemals erlaubt worden. Diese Ungerechtigkeit hatte sie jedoch vergessen, als ihr Vater schließlich aus dem Gebäude kam. Christie hatte sich von ihrer Mutter losgerissen und war zu ihm gerannt.
„Christie, warum musst du dich bloß immer so wild aufführen? Jean, kannst du nicht mal die Haare von diesem Kind in Ordnung bringen? Und weshalb sind ihre Socken schmutzig?“ Während sie ihm zuhörte, war Christies Aufregung verschwunden. Stattdessen hatte sie ein schlechtes Gewissen bekommen. Sie hatte ihren Vater in so vieler Hinsicht verärgert und war nicht das Kind, das er sich gewünscht hatte. Und jetzt erinnerte sie sich wieder an die Gefühle von damals und wie es gewesen war, nicht gewünscht und nicht geliebt zu werden.
Im Vergleich zum Sonnenlicht draußen war es in der Hotelhalle düster, und Christie erzitterte. Schlagartig fühlte sie sich unwohl und unsicher. Unwillkürlich wandte sie sich wieder dem Ausgang zu.
„Christie.“ Seine Stimme und die leichte Berührung seiner Hand an ihrem Arm, das sinnliche Wahrnehmen seiner Größe und seiner männlichen Statur und noch dazu der feine, leider nur zu vertraute Duft von ihm brachten sie dazu, sich vollkommen zu verkrampfen.
Sie wandte sich um und wusste nicht, wie deutlich sich ihre widersprüchlichen Gefühle in ihremBlick spiegelten.
Was er in ihren Augen entdeckte, ließ Leo die Luft anhalten. Sie war wirklich die außergewöhnlichste Frau, die er kannte. Aus ihrem Blick sprachen jetzt Stolz und Verärgerung und das Wissen, eine erwachsene,
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