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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Insel, auf der ich wohnte, nicht mehr als einhundertzwanzig Meter hoch lag, war diese Landschaft, in der man immer urplötzlich ankam, geprägt von riesigen Bergen, die in ihrer Reinheit und Schlichtheit so dominant waren, dass alle anderen Details der Landschaft gezwungen wurden, sich ihnen unterzuordnen, sie verschwanden schlichtweg: Wer interessierte sich schon für eine Birke, und sei sie noch so groß, wenn sie unter einem dieser unendlich schönen und ewig unverrückbaren Berge stand? Den markantesten Unterschied bildeten letztlich jedoch nicht die Dimensionen, sondern die Farben, die hier satter – nirgendwo sonst ist das Grün so satt wie in Westnorwegen – und klarer wirkten, selbst der Himmel, selbst sein Blau war tiefer und klarer als das Blau des Himmels, wo ich herkam. Die Talhänge waren grün und wurden bewirtschaftet, im Frühjahr und Vorsommer waren sie japanisch weiß von den Blüten der Obstbäume, die Berggipfel waren diesig blau, hier und da schneebedeckt, und, oh, zwischen diesen Bergen, die zu beiden Seiten in einer langen Reihe aufragten, lag der Fjord, an manchen Stellen grünlich, an anderen bläulich, überall in der Sonne glitzernd und so tief, wie die Berge hoch waren.
    In diese Landschaft hineinzufahren war immer wieder überwältigend, weil einen nichts von dem, woran man bis dahin vorbeigekommen war, darauf vorbereitete, was einen hier erwartete. Und dann, als wir an der Nordseite des Fjords entlangfuhren, tauchten all diese anderen fremden Details auf, die elektrischen Zäune, die roten Scheunen, die alten, weißen Holzhäuser, die grasenden Kühe, die langen Reihen von Heureitern auf den Hängen. Traktoren, Häcksler, Mistkeller, braune Stiefel mit hohen Schäften auf den Treppenabsätzen vor den Häusern, schattenspendende Hofbäume, Pferde, Geschäfte in den Untergeschossen gewöhnlicher Häuser. Kinder, die in kleinen Buden mit handgeschriebenen Schildern an der Straße standen und Kirschen und Erdbeeren verkauften. Das Leben hier unterschied sich vom Leben daheim; manchmal sah ich auf einmal eine alte, gebeugte Frau in einem geblümten Kleid und mit einem Kopftuch, wie es sie dort, wo ich herkam, nicht gab, oder einen alten, gekrümmten Mann in einem blauen Overall und mit einer schwarzen Schirmmütze auf irgendeinem Feld oder einem Feldweg. Aber unabhängig davon, wie viele Eindrücke diese Orte vermittelten, und zu denen natürlich auch ihre Namen gehörten – Tyssedal, Espe, Hovland, Sekse, Børve, Opedal, Ullensvang, Lofthus, Kinsarvik, wobei der letzte mit seinem fremdartigen Klang mein Lieblingsname war, kinsar, was in aller Welt war das ? –, unabhängig davon, wie klar die Farben waren und wie anders die Fülle der Details war, ruhte doch auch ein Hauch von Verlassenheit über dieser Gegend, nicht über den Menschen und ihrem Tun, sondern über dem Raum, in dem sie sich bewegten, der doch viel zu groß für sie war – vielleicht war das mächtig strömende Sonnenlicht dafür verantwortlich, vielleicht das Blau des gewaltigen Himmels oder die Kette der Berge, die in ihn hineinragten –, oder es lag einfach daran, dass wir nur vorbeifuhren, dass wir nirgendwo haltmachten, abgesehen von der Bushaltestelle, an der Yngve hinaustorkelte, um sich zu übergeben, dass wir hier niemanden kannten und durch absolut nichts mit dem verbunden waren, was wir sahen. Denn wenn wir in Kinsarvik endlich den Kai erreichten und aus dem Wagen stiegen, den Vater in der Warteschlange abgestellt hatte, war von dieser verlassenen Stimmung nichts mehr zu spüren, im Gegenteil, hier wirkte alles freundlich und nett, aus den Autoradios strömte Musik, Türen wurden geöffnet und geschlossen, Menschen streckten sich und gingen ein paar Schritte auf und ab, Kinder spielten gleich neben der Autoschlange vorsichtig mit einem Ball oder machten es wie Yngve und ich und gingen zum Kiosk am Ende des Kais, um zu sehen, ob es dort vielleicht etwas gab, für das man sein Urlaubstaschengeld ausgeben konnte.
    Ein Eis?
    Au ja.
    Yngve kaufte ein Booteis, ich einen Eisbecher, zu dem ein kleiner roter Spaten gehörte, und mit dem Eis in den Händen schlenderten wir zum Wasser, wo wir uns auf die Kaikante setzten und zum Wasser und dem Tang hinunterblickten, der in dicken, nassen Trauben auf dem Fels lag. Weit draußen sahen wir die Fähre näher kommen. Es roch nach Salzwasser, Tang, Gras und Abgasen, und die Sonne brannte auf dem Gesicht.
    »Ist dir noch schlecht?«, fragte ich.
    Er schüttelte den

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