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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Charakters Südnorwegens zu kommen. Keine der Straßen hier draußen hatte einen Eindruck bei mir hinterlassen, ich schaute aus dem Fenster, ohne mit dem, was ich sah, etwas zu verbinden, bis ich plötzlich das Bergmassiv Lihesten erkannte, die senkrechte Felswand, die vom Haus meiner Großeltern betrachtet auf der gegenüberliegenden Seite des Fjords mehrere hundert Meter hoch aufragte. Das Bergmassiv war schon längere Zeit vor uns gewesen, aber erst, seitdem wir parallel zu ihm fuhren, ließ es sich erkennen. Die Aufregung schnürte mir die Brust zu. Wir waren da! Ja, genau, da ist der Wasserfall! Da ist die Kapelle! Da ist das Hotel! Da ist das Schild mit Salbu darauf! Und da ist das Haus! Großmutters und Großvaters Haus!
    Vater bremste ab und bog in den Kiesweg. Er führte zunächst am Nachbarn vorbei und dann durch das Tor, mit dem Silo auf der rechten Seite, den letzten steilen Anstieg hinauf und vor das Haus. Ich öffnete die Tür fast schon, bevor das Auto zum Stehen kam, und sprang hinaus. Hinter der Wiese sah ich Großvater. Er stand in seinem Imkeranzug vor den Bienenkörben. Ein weißer Overall, ein weißer Hut mit einem langen, weißen Schleier um den Kopf. Jede seiner Bewegungen war langsam, auch die, mit der er nun die Hand hob und uns grüßte. Es sah ein wenig so aus, als befände er sich unter Wasser oder auf einem fremden Planeten mit einer anderen Schwerkraft. Ich hob die Hand, winkte ihm zu und lief anschließend ins Haus. Großmutter war in der Küche.
    »Auf dem Vikafjell sind wir fast mit einem Auto zusammengestoßen! Wir sind hochgefahren, so«, sagte ich und zeichnete mit dem Finger auf der gelben Wachstuchtischdecke, während sie mich mit ihren dunklen, warmen Augen anlächelte.
    »Und dann ist ein Auto mit einem Wohnwagen gekommen, so …«
    »Ich bin jedenfalls froh, dass ihr heil angekommen seid«, sagte sie. Mutter trat durch die andere Tür herein. Im Flur hörte ich Vater, der das Gepäck hereintrug. Wo war Yngve? War er zu Großvater gegangen? Obwohl er von den ganzen Bienen umschwärmt wurde?
    Ich eilte wieder auf den Hof hinaus. Nein. Yngve half Vater, unser Gepäck hineinzutragen. Großvater stand noch immer in seinem weißen, weltraumartigen Anzug draußen bei den Bienen. Unendlich langsam hob er ein paar Platten aus einem Korb. Die Sonnenstrahlen erreichten den Hof nicht mehr, beschienen aber noch die Fichten, die auf dem Hügel hinter dem kleinen See wuchsen. Ein schwacher Windhauch trieb am Haus vorbei und raschelte durch die Kronen der Bäume über mir. Von der Scheune kommend näherte sich Kjartan. Er war mit einem Overall und Stiefeln bekleidet. Schwarze, halblange Haare, eine viereckige Brille.
    »Guten Abend«, sagte er und blieb vor dem Auto stehen.
    »Ah, hallo Kjartan«, sagte Vater.
    »Wie war die Fahrt?«, erkundigte sich Kjartan.
    »In Ordnung, keine Probleme.«
    Kjartan war zehn Jahre jünger als Mutter, in jenem Somm er also Anfang zwanzig. Er hatte etwas Verbissenes, fast Wütendes an sich, und obwohl er es niemals an mir aus ließ, hatte ich trotzdem Angst vor ihm. Er war das einzige Kind, das noch zu Hause wohnte; die älteste Tochter Kjellaug wohnte mit ihrem Mann Magne und ihren Kindern Jon Olav und Ann-Kristin in Kristiansand und würde bald herkommen, während die zweitjüngste, Ingunn, Studentin war und mit Mård und ihrer zweijährigen Tochter Yngvild in Oslo lebte. Kjartan und Großvater stritten sich häufig, und ich begriff, dass Kjartan nicht unbedingt so war, wie Großvater sich seinen einzigen Sohn gewünscht hätte. Es sollte einmal den kleinen Hof übernehmen, wenn die Zeit dafür reif wäre. Momentan absolvierte er eine Ausbildung zum Schiffsbauer, nach der er irgendwo in der Region bei einer Werft arbeiten würde. Das Wichtigste an Kjartan und was am häufigsten erwähnt wurde, wenn man über ihn sprach, war jedoch die Tatsache, dass er Kommunist war, leidenschaftlicher Kommunist. Wenn er mit Mutter und Vater über Politik sprach, was häufig vorkam, wenn sie zusammen waren, denn aus irgendeinem Grund schlugen ihre Gespräche immer diese Richtung ein, veränderte sich sein leicht scheuer, ausweichender Blick und glühte vor Begeisterung. Wenn zu Hause über Kjartan gesprochen wurde, lachte Vater manchmal über ihn, vor allem um Mutter zu ärgern, die sicher keine Kommunistin war, in politischen Fragen aber dennoch in fast allen Punkten eine andere Meinung vertrat als Vater, der Lehrer war und die Konservativen wählte.
    »Ich werde mal das

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