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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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auf den Pedalen, bremste mit kurzen Rucken, lenkte es auf die Straße und wurde ziemlich schnell, ehe er kräftig abbremste und vor Gustavsens Haus abbog. Zwei Jahre zuvor hatte er seinen Vater verloren, der Seemann gewesen war, aber ich konnte mich kaum noch an ihn erinnern, ja, im Grunde hatte ich nur ein Bild von ihm im Kopf, wir waren mit ihm die Straße hinuntergegangen, es war kalt gewesen, und die Sonne hatte geschienen, aber es hatte kein Schnee gelegen, in der Hand hatte ich die kleinen orangen Schlittschuhe mit den drei Kufen und den Riemen gehalten, mit denen man sie an den Schuhen festschnallte, also dürften wir auf dem Weg zu dem kleinen See Tjenna gewesen sein. Ich wusste auch noch, wie ich von seinem Tod erfahren hatte. Leif Tore hatte direkt vor unserem Haus vor dem Bordstein gestanden, der die beiden Straßen voneinander trennte, und erzählt, dass Kent Arnes Vater tot war. Als er das sagte, schauten wir zum Haus der Familie hinauf. Offenbar hatte er versucht, jemanden aus einem Tank zu ziehen, der gereinigt wurde und voller Gas war, und sie waren ohnmächtig geworden, und dann war er gefallen. Wenn Kent Arne dabei war, sprachen wir nie über seinen Vater, auch nicht über den Tod. Vor Kurzem war ein neuer Mann eingezogen, der seltsamerweise auch Karlsen hieß.
    Wenn Dag Lothar die Nummer eins war, dann war Kent Arne Nummer zwei, obwohl er ein Jahr jünger war als wir und zwei Jahre jünger als Dag Lothar. Leif Tore war Nummer drei, Geir Håkon Nummer vier, Trond Nummer fünf, Geir Nummer sechs und ich Nummer sieben.
    »Leif Tore, kommst du raus?«, rief Kent Arne vor dem Haus. Unmittelbar danach kam er, nur mit Jeansshorts und Turnschuhen bekleidet, und setzte sich auf Rolfs Fahrrad. Anschließend verschwanden die beiden die Straße hinunter und aus meinem Blickfeld. Prestbakmos Katze lag weiter regungslos auf dem flachen Felsen zwischen Gustavsens und Hansens Grundstück.
    Ich legte mich wieder aufs Bett, las ein paar Comics, stand auf und legte das Ohr an die Tür, um zu horchen, ob dahinter etwas geschah, hörte aber keinen Laut, offenbar waren sie immer noch draußen. Großmutter und Großvater waren zu Besuch, da war es eigentlich unvorstellbar, dass ich kein Abendessen bekommen würde. Aber stimmte das auch?
    Eine halbe Stunde später kamen sie alle die Treppe hoch. Einer von ihnen ging ins Badezimmer, das an mein Zimmer grenzte. Es war nicht Vater, das hörte ich an den Schritten, die leichter waren als seine. Aber ob es Mutter, Großmutter oder Großvater war, konnte ich nicht heraushören, bis dem Rauschen der Toilette ein kräftiges Hämmern in den Warmwasserleitungen folgte, wie nur Großmutter oder Großvater es verursachen konnten.
    Mittlerweile war ich wirklich hungrig.
    Die Schatten, die draußen auf die Erde fielen, waren so lang und verzerrt, dass sie kaum noch Ähnlichkeit mit den Formen besaßen, die sie hervorgebracht hatten. Als wüchsen sie aus eigenem Antrieb, als existierte eine parallele Wirklichkeit aus Dunklem, mit Dunkel-Zäunen, Dunkel-Bäumen, Dunkel-Häusern, bevölkert von Dunkel-Menschen, die im Licht gestrandet waren, wo sie so entstellt und hilflos wirkten, genauso weit außerhalb ihres Elements wie eine Klippe voller Tang, Muscheln und Krabben, von der sich das Wasser zurückgezogen hatte, könnte man sich vorstellen. Oh, war das nicht der Grund dafür, dass die Schatten im Laufe des Abends immer länger wurden? Sie streckten sich nach der Nacht, diesem Gezeitenwasser des Dunklen, das die Erde überschwemmte und für ein paar Stunden die innigsten Sehnsüchte der Schatten in Erfüllung gehen ließ.
    Ich sah auf die Uhr. Es war zehn nach neun. In zwanzig Minuten würde es Zeit sein, ins Bett zu gehen.
    Am Nachmittag war das Schlimmste an einem Hausarrest, dass man nicht hinausgehen konnte, sondern am Fenster stehen und alle anderen sehen musste, die draußen waren. Am Abend war am schlimmsten, dass es keine deutlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Phasen gab, aus denen der Abend normalerweise bestand, so dass ich, nachdem ich eine Weile herumgesessen hatte, einfach meine Kleider auszog und mich ins Bett legte. Der Unterschied zwischen den beiden Zuständen, der eigentlich doch groß war, wurde beim Hausarrest fast völlig verwischt, wodurch ich mir meiner selbst in einer Weise bewusst wurde, die mir sonst verschlossen blieb. Es kam mir vor, als würde der Mensch, der ich unter dem war, was ich tat, zum Beispiel zu Abend essen, Zähne putzen, Gesicht

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