Spielen: Roman (German Edition)
musste man möglichst schnell vergessen, was mir nicht weiter schwerfiel, denn in diesen Wochen stand viel Ungewöhnliches vor der Tür. Ich sollte nämlich bald in die Schule kommen, was bedeutete, dass mir eine Reihe neuer Dinge gehören würde, vor allem der Ranzen, den ich mit Mutter am nächsten Samstagvormittag in der Stadt kaufte. Er war viereckig, seine blaue Außenseite glänzte und leuchtete, die Riemen waren weiß. Innen hatte er zwei Fächer, und ich legte sofort das orange Mäppchen hinein, das ich ebenfalls bekommen hatte und das einen Bleistift, einen Füller, einen Radiergummi und einen Bleistiftspitzer enthielt sowie eine Kladde, die wir gekauft hatten, mit braunen und orangen Kästchen auf der Vorderseite, den gleichen, die Yngve auf seiner hatte, und schließlich ein paar Blätter, die ich hineinlegte, um ihn aufzufüllen. Nun stand er Abend für Abend neben dem Schreibtisch, wenn ich ins Bett ging, was mich durchaus quälte, denn es waren noch viele Tage bis zu meinem großen Tag, an dem ich mit fast allen, die ich kannte, in die erste Klasse kommen würde. Im Frühjahr waren wir schon einmal einen Tag in der Schule gewesen und hatten die Frau begrüßen dürfen, die unsere Lehrerin sein würde, und in einem Klassenzimmer gesessen und ein wenig gezeichnet, aber was jetzt kam, war etwas völlig anderes, es war kein Spiel mehr, sondern Ernst. Es gab Kinder, die die Schule hassten, und streng genommen wussten wir, dass wir das eigentlich auch tun sollten, aber gleichzeitig war alles, was geschehen würde, so verlockend, denn wir wussten so wenig und erwarteten so viel. Außerdem ließ uns die bloße Tatsache, dass wir in die Schule kamen, von einem Tag auf den anderen in dieselbe Liga aufsteigen, in der die größeren Kinder bereits spielten, auf einen Schlag wurden wir wie sie, und dann würden wir es uns mit der Zeit erlauben können, die Schule zu hassen, im Moment allerdings noch nicht … Sprachen wir über andere Dinge? Kaum. Die Schule, in deren Einzugsgebiet wir eigentlich wohnten, Roligheden, an der Vater und Geirs Vater arbeiteten und in die alle älteren Kinder gingen, konnte uns aus Platzgründen nicht aufnehmen, die Jahrgänge und die Zahl der Zugezogenen waren zu groß, so dass wir in eine Schule gehen sollten, die etwa fünf, sechs Kilometer entfernt auf der Ostseite der Insel lag, zusammen mit vielen unbekannten Kindern aus dieser Gegend, außerdem würden wir mit Bussen dorthin gebracht werden. Das war ein großes Privileg und ein Abenteuer. Jeden Tag würde ein Bus kommen und uns abholen!
Ich bekam auch eine hellblaue Hose, eine hellblaue Jacke und ein Paar dunkelblaue Turnschuhe mit weißen Streifen auf dem Spann. Wenn Vater nicht da war, zog ich die neuen Kleidungsstücke immer wieder an und stellte mich vor den Spiegel im Flur, ab und zu auch mit dem Ranzen auf dem Rücken, und als der erste Schultag endlich gekommen war und ich auf dem Kies vor unserer Haustür posierte, um von Mutter fotografiert zu werden, kribbelten nicht nur Anspannung und Ungewissheit im Bauch, sondern auch das ganz besondere, fast triumphierende Gefühl, das mich manchmal überkam, wenn ich besonders schöne Kleidung trug.
Am Vorabend hatte ich gebadet, und Mutter hatte mir die Haare gewaschen, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, geschah es in einem stillen, schlafenden Haus und im Lichte einer Sonne, die noch dabei war, hinter den Fichten unterhalb der Straße aufzugehen. Oh, was für eine Freude es doch war, endlich die neuen Kleider aus dem Schrank zu holen und anzuziehen! Draußen sangen die Vögel, es war immer noch Sommer, hinter einem dunstigen Schleier war der Himmel blau und gewaltig, und die Häuser, die in diesem Moment zu beiden Seiten der aufwärtsführenden Straße ruhig lagen, würden schon bald so voller Ungeduld und Erwartung sein wie am Nationalfeiertag. Ich holte die Blätter aus dem Ranzen, schulterte ihn, stellte die Tragriemen ein, setzte ihn wieder ab. Zog den Reißverschluss der Jacke auf und zu und dachte nach: Am besten sah sie mit geschlossenem Reißverschluss aus, aber dann sah man das T-Shirt darunter nicht … Ich ging ins Wohnzimmer, schaute aus dem Fenster, betrachtete die Sonne, die gelbrot und lodernd hinter den grünen Bäumen stand, ging in die Küche, ohne etwas zu berühren, sah zu Gustavsens Haus hinüber, wo kein Lebenszeichen auszumachen war. Ich stellte mich im Flur vor den Spiegel, zog den Reißverschluss der Jacke ein paar Mal auf und zu … auch das
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