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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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hinaufführte, hätte mich niemand schlagen können. Diesen Weg hätte ich mit verbundenen Augen laufen können. Ich brauchte niemals stehen zu bleiben, wusste immer genau, was hinter der nächsten Biegung auftauchen würde, wusste stets, wohin man seine Füße am besten setzte. Wenn wir auf der Straße um die Wette liefen, gewann immer Leif Tore, aber hier würde ich gewinnen, das wusste ich. Das war ein guter Gedanke, ein gutes Gefühl, und deshalb versuchte ich, ihn möglichst lange lebendig zu halten.
    Lange bevor ich den Fußballplatz erreichte, hörte ich aus dessen Richtung Stimmen, Rufe, Gelächter und Schreie kommen, die aus der Ferne, durch den Wald, fast etwas Affenartiges hatten. Ich blieb auf der Lichtung stehen. Der Platz vor mir wimmelte von Kindern aller Altersstufen, viele von ihnen hatte ich vorher kaum einmal gesehen, die meisten scharten sich um den Ball, den alle zu treten versuchten, so dass sich der Tumult unablässig in kleinen Rucken und Verschiebungen hin und her bewegte. Der Platz bestand aus dunkler, hartgetrampelter Erde, lag mitten im Wald und stieg an einer Seite, wo mehrere Wurzeln aus dem Boden krochen, leicht an. An jedem Ende stand ein großes Tor aus Holzbalken, aber ohne Netz. Die eine Längsseite wurde von einer vorschießenden Felszunge stark verkürzt, während die andere an einem unebenen Feld aus großen Soden und starrem Gras vorbeilief. Fast alle meine Träume speisten sich aus diesem Ort. Hier zu laufen war ein großes Glück.
    »Kann ich mitspielen?«, rief ich.
    Jeder Tritt gegen den Ball hallte von der Bergseite dumpf wider.
    Rolf, der im Tor stand, drehte sich zu mir um.
    »Wenn du willst, kannst du ins Tor gehen«, sagte er.
    »Okay«, erwiderte ich und lief zu dem Tor, das Rolf langsam und leicht watschelnd verließ.
    »Karl Ove steht für unsere Mannschaft im Tor!«, rief er.
    Ich stellte mich möglichst mittig zwischen die Pfosten, verfolgte das Spiel und begriff nach und nach, wer in meiner Mannschaft spielte, beugte mich vor und stand bereit, wenn der Ball näher kam, und als der erste Schuss aufs Tor kam, ein schwach getretener Flachschuss, ging ich in die Hocke, nahm ihn auf, ließ ihn drei Mal aufspringen und trat ihn nach vorn. Der Ball gab an meinem Fuß ein wenig nach, er war groß und weich und abgewetzt, seine Farbe erinnerte an sonnentrockene Erde. In einem Riss lugte die orange Blase heraus. Die Bahn, die er in der Luft beschrieb, war nicht hoch, aber er flog dennoch weit und hüpfte auf der rechten Seite davon, und es war eine helle Freude, die Schar der Kinder hinterherlaufen zu sehen. Ich wollte Torhüter werden. Sooft ich die Chance dazu bekam, ging ich ins Tor, nichts konnte sich mit dem Gefühl messen, sich in einen Schuss zu werfen und ihn zu halten. Mein Problem war, dass ich nur in eine Ecke, in die linke, hechten konnte. Mich nach rechts zu werfen, erschien mir unnatürlich, dazu konnte ich mich einfach nicht überwinden, wenn der Ball dorthin kam, musste ich stattdessen ein Bein ausstrecken.
    Die Bäume warfen lange Schatten auf den Platz, und den rennenden Kindern folgten flackernde Felder aus Dunkelheit, die laufend miteinander verschmolzen und wieder auseinanderliefen. Inzwischen gingen da draußen jedoch einige, statt zu rennen, jemand stand vorgebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, und ich begriff enttäuscht, dass das Spiel bald vorbei sein würde.
    »Also, ich muss jetzt nach Hause«, sagte einer.
    »Ich auch«, warf ein anderer ein.
    »Lasst uns doch noch ein bisschen spielen«, meinte ein Dritter.
    »Ich muss auch los.«
    »Sollen wir neue Mannschaften wählen?«
    »Ich gehe jetzt.«
    »Ich auch.«
    Im Laufe weniger Minuten hatte sich die gesamte Szenerie aufgelöst, und der Platz war leer.
    Das Einbandpapier, das Mutter gekauft hatte, war blau und halb durchsichtig. Wir saßen in der Küche, ich rollte eine Bahn aus und schnitt sie ab; gerieten die Schnittkanten zu schief und gezackt, schnitt Mutter sie nach. Anschließend legte ich das Buch darauf, schlug die beiden flügelähnlichen Einbanddeckel auf, legte das Papier um sie und klebte es in den Ecken fest. Mutter korrigierte, was dabei gerichtet werden musste. Ansonsten saß sie bei mir und strickte an einem Pullover für mich. Ich hatte ihn mir aus einer ihrer Handarbeitszeitschriften ausgesucht, es war ein weißer Pullover mit dunkelbraunen Bünden, der ein bisschen speziell aussah, denn sein Kragen war ganz gerade, und unten hatte er an beiden Seiten einen Schlitz, so

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